Spritzgebäck, Zimtsterne, Vanillekipferl – fast jeder hat sein Lieblingsgebäck. Und in der Adventszeit greifen viele auch selbst gerne zum Rezeptbuch und backen ihre Lieblingsplätzchen. Gabriele Dafft, Wissenschaftliche Referentin am LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, forscht in Bonn über Alltagskultur. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) verrät sie, was den besonderen Zauber der “Weihnachtsbäckerei” ausmacht.
KNA: Frau Dafft, seit wann backen Menschen überhaupt in der Adventszeit Plätzchen?
Dafft: Schon im Mittelalter wurden in Klöstern Lebkuchen gebacken, und auch an den Höfen gab es Backwerk für besondere Festessen. Auch Gebäckmodeln sind bekannt, zunächst mit religiösen Motiven. Aber Plätzchen und Ausstechformen, wie wir sie heute kennen, gab es damals noch nicht. Zucker – Grundzutat für süßes Gebäck – wurde erst im 19. Jahrhundert industriell hergestellt. Auch die Blechförmchen mit der inzwischen sehr breiten Motivvielfalt sind Industrieprodukte. Im Biedermeier, Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts, rückte die Häuslichkeit in den Blick. Weihnachten mit geschmücktem Baum wird zum mehr und mehr zum bürgerlichen Familienfest. Dazu gehört dann im 20. Jahrhundert auch das Plätzchenbacken als vorweihnachtliches Ritual.
Plätzchen sind also gar nicht so alt, wie man vermuten könnte. Schließlich müssen dafür erst mal andere Bedürfnisse gedeckt sein: Man muss dafür ausreichend Nahrungsmittel, Muße und andere Ressourcen zur Verfügung haben. Plätzchenbacken ist wirklich eine Luxusbeschäftigung.
KNA: Wann ging es dann so richtig los mit Vanillekipferl, Spritzgebäck und Co?
Dafft: Der Trend zur weihnachtlichen Plätzchenbäckerei entwickelte sich eigentlich erst ab den 1950er Jahren, als Backzutaten und weihnachtliche Gewürze für alle erschwinglich wurden. Sicherlich hatte auch ein bekanntes deutsches Familienunternehmen einen großen Anteil daran, das Backen von Weihnachtsplätzchen mit Backutensilien und Rezeptheften promotet hat.
Es entsprach zudem dem Bild der fürsorglichen Hausfrau, die für ihre Lieben eine gemütliche Atmosphäre mit allerlei Leckereien zaubern sollte. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das opulente Plätzchenbacken zu einem regelrechten Kult entwickelt – an dem sich heute natürlich auch Männer beteiligen.
KNA: Kommen wir noch einmal zurück zu den Anfängen. Zimt, Vanille, Nelken, Anis und andere exotische Gewürze sind in vielen Gebäcken enthalten. Wie kamen die nach Europa?
Dafft: Typische Weihnachtsgewürze haben die Kreuzritter im 12. und 13. Jahrhundert im Orient kennengelernt. Bei ihren Kreuzzügen lernten sie die dortige Lebensweise und Essgewohnheiten wie das starke Würzen von süßem Gebäck kennen. Weil diese Gewürze aber sehr teuer waren, wurden sie nur von jenen verbacken, die es sich leisten konnten. Denn die Handelswege nach Europa waren aufwändig. Zum Einsatz kamen die kostbaren Gewürze also vor allem im höfischen Bereich oder an Festtagen. Es dauert, bis sich breite Bevölkerungsschichten diese Gewürze leisten können.
KNA: Für viele ist das Backen inzwischen ein liebgewonnenes Ritual. Wie kommt das, wo doch gerade in der Adventszeit noch so viel anderes zu erledigen ist?
Dafft: Weihnachtsplätzchen zu backen ist weit mehr als Nahrungszubereitung. Sie stehen auch für Gemütlichkeit in der Adventszeit. Der Advent wird trotz aller Hektik und Erledigungen noch als besinnliche Zeit wahrgenommen. Beim Plätzchenbacken – alleine oder auch in Gemeinschaft – kann man gut runterkommen. Und das Ergebnis wird oft auch gerne verschenkt.
Natürlich kann das Backen auch zu Stress ausarten, wenn es ein Punkt unter vielem in der adventlichen To-Do-Liste ist. Wer dies nur aus Verpflichtung tut, um überholten gesellschaftliche Anforderungen zu entsprechen, dass “die gute Hausfrau für die Weihnachtsplätzchen zu sorgen hat”, der wird sich dabei weniger entspannen. Manche setzen sich auch selbst unter Druck, weil sie immer wieder neueste Plätzchenkreationen ausprobieren möchten.
KNA: Apropos Trend – zählt bei Weihnachtsplätzchen nicht die Tradition?
Dafft: Ja und nein. Ab den 1970er Jahren ist die Weihnachtsbäckerei ausgefallener geworden; neben den traditionellen Gebäcksorten kamen jetzt auch exotischere Formen und Gewürze hinzu. Momentan sind Rezepte mit Cranberries und anderen Zutaten im Trend, die als Superfood gelten. Weihnachtsgebäck ist also immer auch auf vielfältige Weise ein Spiegel seiner Zeit.
Einerseits möchte man etwas Vertrautes auf dem Plätzchenteller haben. Andererseits wird aber gerne auch Neues ausprobiert. Die Sozialen Medien haben sicher ihren Anteil daran, wenn User ihre neuen Kreationen präsentieren.
KNA: Plätzchen scheinen Herz und Seele zu wärmen…
Dafft: In der Tat. Denn nicht ohne Grund werden wärmende Gewürzte wie Zimt, Kardamom, Anis und Nelken verbacken. Sie lösen etwas in uns aus, schließlich ist der Geruchssinn stark mit Gefühlen wie Geborgenheit gekoppelt. Plätzchenduft erinnert viele an ihre Kindheit, man kann ihm kaum widerstehen.
KNA: Wer hätte gedacht, dass es über Weihnachtsplätzchen so viel zu erzählen gibt…