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Bittet, so wird euch gegeben – aber was?

Am 20. November begeht­ die evangelische Christenheit den Buß- und Bettag. Grund genug, wieder einmal darüber nachzudenken, was das Wort Beten meint.

„Not lehrt Beten.“ Das war der kurze, meist leicht triumphal geäußerte­ Kommentar unserer Nachbarin, wenn nach einem schweren Unfall oder bedrohlich wirkenden Zeiten wie im Herbst 1989 sich die sonst oft nur mäßig besetzten Kirchenbänke unserer Dorfkirche wieder einmal füllten. Ihr Mann war in Sachen Religion eher von der nüchternen Sorte und ließ dann ein geknurrtes „Wenn es denn hilft“ hören. Also: Wovor oder wozu hilft Beten? Und: Was ist Gebet überhaupt?

Die zweite Frage scheint sich leichter als die erste beantworten zu lassen: Der Blick ins etymologische­ Wörterbuch bestätigt die Vermutung, dass das Verb „beten“ eine Ableitung von dem Verb „bitten“ ist. Der Unterschied: Die Worte Gebet und Beten haben ihren Platz vorrangig im religiösen Sprachgebrauch. Gebet, so heißt es etwas verklausuliert bei Wikipedia, „ist eine verbale oder nonverbale rituelle oder freie Zuwendung an transzendente Wesen (Götter, Gottheiten)“.

Beten ist so etwas wie die Kontaktaufnahme mit dem Göttlichen

Ob im persönlichen stillen Gebet oder im gemeinsamen Rezitieren oder Singen liturgischer Texte oder gar im rituellen Tanz ohne Worte – wer betet, verlässt also die Sphäre des rein Weltlichen, nähert sich dem Heiligen und erhofft eine hilfreiche Antwort oder einen Fingerzeig „von oben“. Andere Sprachen zeigen diesen Wechsel der Sphären noch klarer als das Deutsche an, indem sie für diese Kontakt­aufnahme mit dem Gött­lichen ein eigenes Wort benutzen. So heißt „beten“ zum Beispiel auf Englisch „pray“, „bitten“ dagegen „request“.

Diese besondere, kommunikative Hinwendung zum Göttlichen gehört zum Kern aller religiösen Vollzüge weltweit – als Bitte oder Dank, Anbetung oder Besinnung auf „das, was uns unbedingt angeht“, wie es der Theologe Paul Tillich formuliert hat. So kennt die christliche Tradition das persönliche Gebet, das gemeinschaftliche Gebet in der Familie und im Gottesdienst sowie das liturgische Gebet am Altar – gesprochen oder gesungen. Viele geistliche Lieder sind ebenfalls als Gebet formuliert. Vorbild ist dabei oft die Sammlung uralter Gebete Alt-Israels in der Bibel, die Psalmen. Das wichtigste Gebet im Christentum, das alle Konfessionen verbindet, ist das Vaterunser, das nach dem 6. Kapitel des Matthäusevangeliums von Jesus selbst gestiftet wurde.

Beten in den Weltreligionen

Im Judentum hat diesen bedeutenden Platz im religiösen Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft das tägliche Beten des Schma Jisrael, des „Höre Israel“ aus dem 5. Mosebuch, Kapitel 6. Eingeleitet wird es mit der Proklamation der Einzigartigkeit Gottes und ist, streng genommen, nicht so sehr Gebet zu diesem Höchsten, sondern ein Glaubensbekenntnis. Doch auch im Christentum wird das nicänische oder römische Glaubensbekenntnis oft als Gebet zelebriert, auch wenn es eigentlich der Selbstvergewisserung über die Kernstücke des eigenen Glaubens dient.

Auch wenn im Juden- und im Christentum das persönliche Gebet im Alltag zum Glaubensleben dazugehört, wird dies doch in seiner Intensität sehr verschieden gehandhabt.

 

Anders im Islam. Hier ist das Gebet im Alltag zu festen Zeiten, wie es im Christentum vor allem in klösterlichen Gemeinschaften den Tag strukturiert, für alle Gläubigen verbindlich. Denn Salah, das Gebet, ist eine der fünf Säulen dieser Religion und ist fünfmal täglich in festgelegter Form zu vollziehen. Dabei fällt auf, dass auch dieses Gebet nicht eine Bitte um göttlichen Beistand ist, sondern ein Glaubensbekenntnis, in dem die Unterwerfung unter den göttlichen Willen im Mittelpunkt steht.

Doch auch der Buddhismus, der in seiner ursprünglichen Form keine Götter kennt, mit denen man ins Gespräch kommen kann, praktiziert das Gebet in Form der Meditation. Hier jedoch geht es nicht um Bitte oder Dank, nicht um Anbetung. Es geht allein, um die Worte des Theologen Paul Tillich wieder aufzugreifen, um die Besinnung auf „das, was uns unbedingt angeht“. Und das ist für die Buddhisten das Streben nach innerem Frieden und Erleuchtung. Mantras und Meditationsgebete sind Wege, um mit den sonst verborgenen Schichten der eigenen Seele zu kommunizieren auf dem angestrebten Weg ins Nirwana.

Körperhaltungen sagen etwas über das Gebet aus

Wie die Meditationshaltung im Buddhismus zeigen auch in den anderen Religionen Körperhaltungen an, welcher Aspekt des Gebetes im Vordergrund steht. Besonders auffällig ist dies im Islam mit der aus den vorderasiatischen Herrscherkulten übernommenen Unterwerfungsgeste – die hier allerdings nur Gott allein zusteht. Das Christentum dagegen kennt mehrere Haltungen beim Gebet, in denen das Verhältnis von Betern zum Angebeteten deutlich wird: Es macht schon einen Unterschied, ob ich beim Beten aufrecht stehe oder knie, ob ich den Kopf senke oder die Hände zum Himmel erhebe.

Andere Religionen sind da dem Göttlichen gegenüber forscher. So klatschen die Anhänger des Shintoismus­ in Japan, in dem sich Natur- und Ahnenkulte mischen, nach der rituellen Reinigung vor den heiligen Schreinen in die Hände, um die Götter auf sich und ihre Bitten um Hilfe aufmerksam zu machen.

Hilfe beten und wenn ja, wie?

Und da sind wir bei der umstrittenen Frage, ob und wie Beten hilft. Für die meisten Religionen wie die Naturreligionen, die überlieferten Kulten der Antike oder eben auch für den Shintoismus ist die Antwort klar: Die Götter oder Geister lassen sich gnädig stimmen durch Gebete und Opfer, sodass sie, wenn auch nicht immer, auf die menschlichen Wünsche eingehen. Auch in den drei abrahamitischen Offenbarungsreligionen Judentum, Christentum und Islam heißt die Antwort Ja. Doch oft geschieht dies ganz anders als erhofft. Der Gott der Bibel und des Koran ist niemand, der sich bestechen lässt.

Auch wenn es Erzählungen im Alten Testament gibt, in denen sich Gott durch Gebete umstimmen lässt – letztlich geht es aber darum, im Gespräch mit ihm seinen Willen zu erfahren und sich danach auszurichten. Nichts anderes meint das Wort Buße. Darum ist die angemessenste Bitte Gott gegenüber die um ein offenes Ohr für seine Worte und um ein weises Herz. „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe“, betet Jesus kurz vor seiner Gefangennahme. Dahinter steht das feste Vertrauen in einen liebenden Gott. Das schließt verzweifelte Klage und dankendes Lob an ihn mit ein.

Es ist heilsam, auf Gottes Willen zu hören

Zu diesem Vertrauen in einen liebenden Gott auch in schweren Zeiten ohne ersichtliches Happy End hatte Jesus schon früher seine Anhänger ermutigt. Heißt es doch auch im Vaterunser: „Dein Wille geschehe.“ Warum es heilsam ist, auf Gottes Willen zu hören, begründet Jesus in den vorangestellten Worten: „Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viel Worte machen. Darum sollt ihr euch ihnen nicht gleichstellen. Euer Vater weiß, was ihr bedürfet, ehe ihr ihn bittet.“

1944 dichtete, den Tod vor Augen, der Theologe Dietrich Bonhoeffer 1944 aus der Gestapo-Haft sein Glaubensbekenntnis. Das daraus sprechende tiefe Vertrauen in den Willen Gottes ist für viele Christen zu einem geliebten, oft gesungenen Gebet geworden: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“