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Bischof und Ethikerin: Austausch hat uns näher gebracht

Er katholischer Bischof, sie Medizinethikerin – die Geschwister Karl-Heinz und Claudia Wiesemann sind sicher in vielen Ansichten getrennt. Im Interview verraten sie nun, wie sie immer wieder Konsens finden.

Obwohl sie in vielen Fragen unterschiedliche Positionen haben, finden der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann und seine Schwester, die Medizinethikerin Claudia Wiesemann, im Austausch offenbar immer wieder zueinander. Was ihn und seine zwei Jahre ältere Schwester verbinde, sei der Versuch, “möglichst differenziert der Sache gerecht zu werden”, sagte Bischof Wiesemann in einem gemeinsamen Interview der “Süddeutschen Zeitung” (Donnerstag online). “Da kann man natürlich in einzelnen Punkten unterschiedlicher Meinung sein.”

Schwierige Themen gebe es genug. So stehe Claudia Wiesemann als Ethikerin etwa bei Abtreibung und Suizidbeihilfe für progressivere Standpunkte als die katholische Kirche, die ihr Bruder vertritt, hieß es. Bei Abtreibung positioniert sich Bischof Wiesemann gegen eine mögliche Aufhebung des Paragrafen 218, der Schwangerschaftsabbrüche im Strafgesetzbuch regelt. Es gebe “Dilemma-Situationen”, die gelöst werden müssten, so der Bischof. Grundlegend sei aber der Schutz des Kindes.

“Wir haben einen Dissens in der Frage, wie wir das Thema gesellschaftlich und politisch auflösen”, erklärte Claudia Wiesemann. “Ich finde, dass die Entscheidung am besten bei der Frau aufgehoben ist. Dass sie über sich selbst, ihren Körper und über die Existenz und die Zukunft eines neuen Wesens entscheidet.” Kritisch sehe sie an der Positionierung der Kirche in dieser Frage auch, dass diese lange Zeit uneheliche Kinder und deren Mütter stigmatisiert habe. Das stehe im Kontrast zur Idee des Lebensschutzes. “An diesem Widerspruch habe ich mich oft gerieben.” Da sie aber immer eine Gesprächsbasis mit ihrem Bruder finden könne, handle es sich nicht um eine fundamentale Meinungsverschiedenheit.

Groß sei die Nähe hingegen bei der Frage zum richtigen Umgang mit Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche geworden. Bischof Wiesemann nennt die Aufarbeitung ein “Herzensanliegen”. Seine Schwester äußerte Erleichterung darüber, dass sie offen über das Thema reden könnten. “Ich hatte früher Sorge, dass jemand, der diesen klerikalen Weg geht, sich verpanzern wird in einer ideologischen Welt. Ich hatte Angst, dass ich den Bezug zu ihm verlieren würde. Aber das Gegenteil ist der Fall gewesen”, sagte sie. “In seiner Auseinandersetzung mit der Welt ist mein Bruder immer offener geworden und hat mir auch immer mehr von seiner Verletzlichkeit gezeigt. Und das gibt mir eine große Nähe.”

Auch anderen Familien, in denen unterschiedliche Standpunkte zu Streit führen, raten die Geschwister, im Gespräch zu bleiben und mögliche Ängste des anderen ernst zu nehmen. Es sei wichtig, “sich darauf zu besinnen, auf welchen gemeinsamen Grundfesten man steht”, so Claudia Wiesemann. “Vertrauen schaffen, damit keine Abwehrhaltung entsteht. Und schließlich offen die Argumente des anderen anhören, ohne sie sofort zu bewerten. Das wird nicht jeden Streit verhindern, aber es schafft eine Basis für eine gute Debatte.”