„Die kann man jetzt schon essen“, ruft Marie-Sophie von Schnehen und rupft eine Handvoll unreifer Kichererbsen von einem Strauch. Die Bio-Landwirtin und Inhaberin des Hofguts Klein Schneen im Kreis Göttingen drückt mit den Fingern auf eine der eichelgroßen Hülsen, bis sie zerplatzen, dann pult sie die hellgrünen Früchte aus dem Innern und reicht sie weiter. Tatsächlich, sie schmecken. Süß und frisch.
Auf neun der insgesamt rund 200 Hektar ihrer gepachteten Ackerfläche haben Schnehen und ihre Mitarbeiter im April die Kichererbsen ausgesät. Im Juli standen die Felder in voller Blüte, im Herbst wird geerntet. „Im Idealfall werden das neun Tonnen“, sagt die 30-Jährige. Die reifen Kichererbsen sollte man in größeren Mengen dann nur gekocht essen, sie enthalten einen Giftstoff, der beim Erhitzen zerstört wird.
Mohn, Quinoa und Buchweizen
Bei den Kichererbsen handelt es sich nur um eine von knapp einem Dutzend sogenannter Sonderkulturen, die hier angebaut werden. Andere Hülsenfrüchte wie Linsen und Lupinen wachsen hier ebenso wie Mohn, Quinoa oder Buchweizen. „Auf etwa 40 Prozent unserer Gesamtfläche haben wir diese Sonderkulturen“, erläutert Schnehen. Der Rest ist mit klassischen Getreidesorten wie Hafer, Weizen oder Triticale bepflanzt, das mit seinen langen Grannen der Gerste ähnelt, aber eine Kreuzung aus Weizen und Roggen ist.
Insgesamt 14 oder 15 verschiedene Nutzpflanzen gedeihen auf den Feldern des Hofgutes, weit und breit ist es der einzige Hof mit so viel Diversität. Die studierte Agrarwissenschaftlerin legt großen Wert auf die Fruchtfolge, also den jährlichen Wechsel der auf dem Feld angebauten Kulturen. „Wir bringen mehr Vielfalt auf die Fläche“, sagt sie. „Und wir arbeiten mit der Natur, nicht gegen sie.“
„Ein gesunder Boden erzeugt gesunde Pflanzen”
Ökologisch und für die Ernährung bringe das nur Vorteile. Insbesondere die auch Leguminosen genannten Hülsenfrüchte gelten als gute Eiweißlieferanten und als potenzieller Fleischersatz. Auch der Erde tun diese Pflanzen gut, weiß Schnehen. Mit ihrem verzweigten Wurzelsystem wirkten Hülsenfrüchte einer Verdichtung der Böden entgegen und verbesserten ihre Wasserhaltekapazität.
„Ein gesunder Boden erzeugt gesunde Pflanzen“, beschreibt sie die Effekte. Durch die Symbiose mit Bakterien können die Hülsenfrüchte wie Lupinen oder Kichererbsen pro Hektar und Jahr zudem zwischen 50 und 100 Kilogramm Stickstoff im Boden binden. Der ständige Wechsel und das ständige Grün auf den Feldern sorgen auch dafür, dass Schmetterlinge, Bienen und andere Insekten sich stark vermehren können.
Das idyllische Anwesen mit den Fachwerkbauten und dem kleinen Teich liegt am Dorfrand von Klein Schneen. Die Familie von Schnehen ist schon seit rund 700 Jahren in dem kleinen Ort ansässig. Vor drei Jahren hat Marie den Hof von ihren Eltern übernommen. Vater und Mutter arbeiten weiterhin aktiv im Betrieb mit, zwei Angestellte und ein Auszubildender komplettieren das Team.
„Wir wollen Produkte erzeugen, keine Rohstoffe“
Die Ernte wird vor Ort auch weiterverarbeitet. „Wir wollen Produkte erzeugen, keine Rohstoffe“, sagt Marie von Schnehen. Als Kind habe sie keine Ahnung gehabt, was mit dem ganzen Getreide passierte, das damals in großen Lastwagen abgeholt worden sei. „Jetzt möchte ich wissen, wo meine Lebensmittel hingehen, und ich will, dass am Ende ein gesundes Produkt auf dem Teller des Käufers landet.“
Die Kichererbsen zum Beispiel werden auf dem Hof in einer Art Windkanal getrocknet, dann gereinigt und schließlich verpackt – in 250-Gramm-Tüten für Einzelkunden und kleine Läden, in größere Behälter für die Abnehmer in der Gastronomie. Einen kleinen Teil ihres Sortiments – Mohnöl, Buchweizenmehl oder Lupinenkaffee etwa – verkauft Schnehen mit einem eigenen Label über einen Online-Shop im Internet.
Pflanzen und Säen, Dreschen und Ernten, Verkaufen und Kalkulieren: Die Arbeit auf dem Hofgut fordert. „Dabei sind wir kein Start-up, in das Anleger investieren“, betont Marie von Schnehen. „Wir müssen rechnen und wir müssen uns rechnen. Wenn wir nicht wirtschaftlich sind, gibt es für uns keine Existenzberechtigung.“
Aufgeben ist für die Bio-Bäuerin allerdings kein Thema. Sie begreift ihren Job nicht nur als eine Erwerbstätigkeit, sondern als Beitrag im Kampf gegen die Umweltzerstörung. „Klimakrise, Artensterben, Wasserknappheit“, zählt sie auf. „Da muss man doch was machen.“
Sojabohnen im Landkreis Hildesheim
Ganz allein kämpft sie nicht. In Niedersachsen gehört auch Moritz Bleckwenn aus Garmissen im Landkreis Hildesheim zu den Hülsenfrucht-Pionieren, wenn auch mit einem anderen Schwerpunkt: Auf der Suche nach Alternativen und um sich auf den Klimawandel einzustellen, weckte die Sojabohne seine Neugier. „Ich hatte das Gefühl, dass sie für unseren Standort gut geeignet ist“, sagt der Landwirt. Er baut in diesem Jahr zum zweiten Mal auf 29 Hektar die aus Südamerika stammende Pflanze an. Vermarktet werden die Früchte über die Handelsplattform von „Naturland“, die sie dann an Lebensmittelproduzenten oder Futtermischwerke weiterverkauft.
Auch von höherer Stelle weht inzwischen Rückenwind für Hülsenfrüchte. Die Landwirtschaftskammer Niedersachsen hat sich einem überregionalen Leguminosen-Netzwerk angeschlossen, das Fachleute aus Forschung, Beratung, Züchtung, Erzeugung, Verarbeitung, Handel und Verbänden zusammenbringt und Demonstrationsbetriebe für den Anbau von Hülsenfrüchten aufbauen will. Gefördert wird das Projekt unter anderem vom Bundeslandwirtschaftsministerium: Mit einer sogenannten Eiweißpflanzenstrategie will es den Anbau von Kichererbse Linse & Co. vorantreiben.