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Bildbetrachtung: Der Gnadenstuhl

Ein Bild von der dreifachen Liebe ­Gottes eines ­unbekannten Meisters aus dem 12. Jahrhundert.

Der Gnadenstuhl (Ausschnitt), Darstellung der Dreieinigkeit Gottes, Zeichnung aus dem 12. Jahrhundert, unbekannter Meister
Der Gnadenstuhl (Ausschnitt), Darstellung der Dreieinigkeit Gottes, Zeichnung aus dem 12. Jahrhundert, unbekannter MeisterBereitgestellt von Kulturpool Österreich, Graphische Sammlung Albertina, Wien, Inventarnummer: 22864r, PDM 1.0, www.albertina.at

Noch ehe man bis drei zählen kann sind aller guten Dinge drei. Dreimal darfst du deshalb raten und drei Wünsche hast du frei. Drei Dinge braucht auch der Hesse: lange ­Bratwürste, kurze Predigt, schnelle Messe. In unserem Denken ist die Drei eine herausgehobene Zahl und Sinnbild für die erste Vollkommenheit. Sie vereint Anfang, Mitte und Ende, bewegt sich zwischen Ich, Du und Wir und spiegelt das Bild der Familie von Vater, Mutter und Kind.

Die Drei als Symbol begegnet uns auch in vielen biblischen Aussagen. Als man sich im frühen Christentum darum stritt, wie es möglich wäre, das vielfältige Wirken Gottes so auszudrücken, dass es ein ­Geheimnis bleibt, aber auch ­verständlich ist, kam bald die Drei als symbolische Zahl in den Blick.

Ein Modell für Gott

Bezugnehmend auf biblische Aus­sagen von Gott als Vater und Schöpfer, von Jesus als Sohn und der menschlichen Liebe Gottes, vom Heiligen Geist als Kraft des Trostes, der Ermutigung und des Glaubens einigte man sich auf dem Konzil von Chalcedon im Jahr 451 auf das „Modell“ der Dreieinigkeit Gottes.

Im Lauf der Jahrhunderte gab es dann viele Versuche die Trinität symbolisch darzustellen. Vor allem in der Architektur der Kirchen ­finden sich viele Zeugnisse.

Eine ganz besondere Art der Darstellung hat sich ab dem 11. Jahrhundert in Westeuropa entwickelt. Es ist die Darstellung vom „Thron der Gnade“ oder, wie Luther später sagte, vom „Gnadenstuhl“. Die ­Maler wussten: Gott lässt sich nicht darstellen, aber Bilder können ­helfen, das innere Geheimnis Gottes zu meditieren.

Zwischen Vater und Sohn

Im 12. Jahrhundert ist auch ­unsere Miniatur als ein Medi­tationsbild entstanden. Das Original befindet sich heute im ­Albertinum in Wien. Wir sehen Gott-Vater dargestellt, wie er in seinem Schoß das Kreuz mit Christus trägt. Auf Jesu Haupt und so zwischen Vater und Sohn befindet sich als Sinnbild des Heiligen Geistes die Taube. Sie schaut gerade zu Gott-Vater auf und deutet so das Verbindende, die Kraft der Liebe zwischen Vater und Sohn, an.

Ort der Geborgenheit und Zeugung: der Schoß

Wie Christus hier präsentiert wird, vom Schoß Gottes getragen, erinnert an Worte aus dem ersten ­Kapitel des Johannes-Evangeliums: „Der einzig geborene Sohn, der Gott selbst ist, ist in des Vaters Schoß.“ Der Schoß galt bei den alten Völkern immer als Ort der Geborgenheit und Zeugungskräfte. Dort also wird der Sohn als Gottes Ebenbild gezeugt und im Heiligen Geist und in der Liebe bewahrt. Als einen Ort der Geborgenheit empfinden wohl alle Kinder den Schoß ihrer Eltern.

Gott-Vater selbst sitzt auf unserer Darstellung auf einem sehr einfachen Holzthron. Als Viereck ist dieser ein Symbol für die vier Enden der Erde und der Schöpfung. Das goldene Gewand und der blaue Mantel sind Sinnbilder für Gottes Herrlichkeit und seine Herrschaft über den Kosmos. Mit großen ­Augen schaut Er in die Welt und hält mit seiner Linken das von „Grünkraft“ geprägte Buch des ­Lebens. Das kann nur der Sohn als Lamm Gottes, wie es in der Offenbarung heißt, öffnen. Die rechte Hand Gottes ist zum Segen erhoben und wird durch die Fingerhaltung selbst zum Sinnbild der Dreifaltigkeit.

Alpha und Omega

Christus erscheint am T-förmigen Kreuz mit geschlossenen Augen und wird mitten im Leid von ­seinem Vater gehalten. Das blutrote Kreuz teilt das Bild in zwei Rechtecke ein. Im unteren Teil mit der­ ­Erde als Thronsitz deutet sich mit Christi Leid und Schmerz, Hingabe und Gebunden-sein an. Im oberen Teil sehen wir Gott-Vater aufgerichtet und voller Freiheit. Sein jugendliches Haupt ist umgeben von Zeichen der Heiligkeit, dem goldenen Kreis als Sinnbild der Vollkommenheit und Ewigkeit, auf die auch Alpha und Omega weisen.

Diese Teilung von oben und ­unten, von Freiheit und Gebunden-sein, Leid und Aufgerichtet-werden gehört zur Menschlichkeit Gottes in Christus und auch zu unserem Menschsein. An dieser Grenze, auf dem T-Kreuz, befindet sich das Sinnbild des Heiligen Geistes. Er verbindet alles Trennende: Leid und Freiheit, Vater und Sohn, Menschliches und Göttliches. Und dann ist da noch der vertikale Balken des Kreuzes, der blutrot in den Kelch mündet und darüber hinaus geht. So sprengt er die Grenzen des ­Irdischen. Damit zeigt sich, dass der „Blutkreislauf“ der dreifaltigen ­Liebe Gottes in die Bedürftigkeit und Begrenztheit unserer Welt ­hinein reicht und Heilung bewirken will.

Bild für Gottes Willen zur Heilung unseres Lebens

So wird das Kreuz zum Thron der Gnade, zum Koordinatenkreuz einer neuen geisterfüllten Welt, in der auch wir eingeladen sind hinzuzutreten, um im Schoß Gottes ewig geborgen zu bleiben. Um als seine Kinder gnädig miteinander und mit der Erde umzugehen, Frieden zu stiften, Barmherzigkeit zu üben.

Das Bild von der Dreifaltigkeit Gottes ist in seiner Vielfalt kein Abbild, sondern ein Sinnbild für Gottes Willen zur Heilung unseres Lebens und dieser Welt. Gott schenkt sich uns als Herr des Kosmos, als Mensch gewordene Liebe, als Geist der ­Gnade ganz und gar.

Darum lasst uns – wie es im Hebräerbrief 4,16 heißt – „hinzutreten zu diesem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig ­haben“ und dereinst, wenn wir heimkommen im Schoß Gottes, in Ihm geborgen bleiben bis in Ewigkeit, Amen.