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Bewegende Momentaufnahme

Vor 500 Jahren starb Leonardo da Vinci, Schöpfer der Mona Lisa mit ihrem geheimnisvollen Lächeln. Zahlreiche Veranstaltungen, Ausstellungen, Buchpublikationen erinnern an das umtriebige Schaffen des großen Universalgenies der Renaissance

Aus seiner Hand stammt das wohl berühmteste Portraitgemälde der Welt, die Mona Lisa mit ihrem geheimnisvollen Lächeln. Eine Ikone der Kunst – wie sein Mailänder Wandgemälde „Das Abendmahl“ und seine Zeichnung „Der vitruvianische Mensch“. Am 2. Mai vor 500 Jahren starb Leonardo da Vinci.
Geboren wurde er am 15. April 1452 im toskanischen Weiler Anchiano bei Vinci, nicht weit von Florenz als uneheliches Kind des Notars Piero da Vinci und der Magd Caterina. Notar wie sein Vater, wie damals üblich war, konnte er nicht werden. Und so lebte er in Florenz, wohin er mit seinem Vater zog, die Lust am Musizieren, Zeichnen und Modellieren aus. Als er 17 war, steckte ihn sein Vater in die Werkstatt von An­drea del Verrocchio, einem Bildhauer, Maler und Goldschmied.
Zusammen mit seinem Meister malte Leonardo das Bild „Tobias und der Engel“ und offenbarte bereits hier seine Klasse: Ein Fisch, in der Hand des Tobias, ein Hund zu Füßen des Engels und auch die Haare des Tobias zeigen seine Handschrift. Von Anfang malte er mit einer Liebe zum Detail: Er wollte Haare so malen, wie sie eben aussehen, ein nacktes Bein mit den sich abzeichnenden Muskeln, Sehnen und Knochen, einen Fisch mit seinen Schuppen, eine Landschaft so, wie sie dem Betrachter erscheint, wenn er in die Ferne blickt.

Detailliert gezeichnet und gemalt wie gesehen

Leonardo blieb auch nach der Lehrzeit bei Verrocchio und entwickelte bei ihm seine Sfumato-Technik, die Weichzeichnung von Objekten, um das Gemalte an das realistische Sehverhalten anzupassen. Seit 1472 findet sich sein Name in den Listen der Malergilde San Lucca von Florenz. Und spätestens zu dieser Zeit begann Leonardo, Skizzen und Entwürfe in Notizbüchern festzuhalten.
Erhalten davon sind rund ein Drittel, 7200 Seiten insgesamt, die den Leonardo-Kosmos offenbaren. Von seiner Wissbegier, angetrieben von einer ausgeprägten Neugier, und seiner ausgeprägten Beobachtungsgabe der Natur zeugen darin auch seine anatomischen Studien, die ihn befähigten, Körper von Menschen und Tieren realistisch darzustellen.
Leonardo dachte in Analogien, also in Entsprechungen in verschiedenen Bereichen. Weil er an die Einheit der Natur glaubte, konnte er Dinge entdecken, die anderen verborgen waren. Umgekehrt verband er die Disziplinen und konnte deshalb großartige Dinge in ganz unterschiedlichen Bereichen erschaffen. Er war der Inbegriff eines universalen Geistes, jemand, der die Schöpfung und den Platz des Menschen darin begreifen wollte.
Leonardo-Biograph Walter Isaacson sieht in den wissenschaftlichen Studien Leonardos das tiefe Bedürfnis, „die Schönheit der Schöpfung zu ergründen“. Isaacson: „Er glaubte an das Wunderbare und Ehrfurchtgebietende der Schöpfung, doch in seinen Augen konnte man sie durch Wissenschaft und Kunst erforschen und viel besser wertschätzen als durch die von der Kirche verordneten Dogmen.“
„Der Mensch ist das Abbild der Welt“, war Leonardo überzeugt. In der Einheit vom Mikrokosmos des Menschen und dem Makrokosmos des Universums zeigte sich für ihn die Schönheit der Schöpfung. Und das war es auch, was er mit seinen Werken zeigen wollte.
Ab 1477 stieg er zu den führenden Malern von Florenz auf – als freier Künstler unter der Patronage von Lorenzo di Medici (1449-1492), dem Stadtherrn von Florenz. Er malte Auftragsportraits und Madonnenbilder. Viele Zeichnungen, aber bestenfalls 15 Gemälde sind von ihm erhalten. Jedes Werk für sich erzählt etwas Besonderes über seine künstlerische Entwicklung, aber drei Exponate ragen heraus: Der vitruvianische Mensch, das Abendmahl und die Mona Lisa.
In seiner um 1490 gefertigten Zeichnung „Vitruvianischer Mensch“ verbindet Leonardo die Anatomie des Menschen mit Geometrie, Proportionenlehre und Philosophie. Sie zeigt einen Mann mit ausgestreckten Armen und Beinen in zwei überlagerten Positionen. Mit den Fingerspitzen und den Sohlen berührt die Figur ein sie umschreibendes Quadrat und einen Kreis. Leonardo griff dabei die Idee des römischen Architekten und Ingenieurs Vitruv aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert auf, den menschlichen Körper in seinen idealen Proportionen darzustellen – eingezeichnet in die vollkommenen geometrischen Flächen des Quadrats und des Kreises. Leonardo war geradezu besessen von der Anatomie des Menschen. Er sezierte gegen das kirchliche Verbot Leichen, um das Skelett, Sehnen, Muskeln und Organe mit ihren Funktionen und Proportionen zu erforschen.
In der mittelalterlichen Kunst waren die Menschen noch relativ starr und unbeweglich dargestellt worden und waren in der Regel Heilige, Symbolträger für eine geistige Grundhaltung. Jetzt rückte der Mensch selbst in den Mittelpunkt, ein Wesen aus Fleisch und Blut, mit Charakter, Emotionen – und in Bewegung. Das nach oben orientierte gotische Weltbild wandelte sich zu einem Kosmos der konzentrischen Kreise, in deren Mittelpunkt der Mensch steht, das Maß aller Dinge. Humanistische Prinzipien wie Toleranz, Gewalt- und Gewissensfreiheit standen damit auf der Agenda. Leonardos vitruvianische Proportionsstudie steht beispielhaft für die neue Weltsicht, in der der  Mensch in seiner körperlichen Beschaffenheit in die Mitte gesetzt ist. Der vollkommene Körper wurde zum Ideal erhoben.
Die Darstellung des idealen Menschen war jedoch für Leonardo nicht alles. So zeichnete er, wo immer er ihnen begegnete, ungewöhnlich aussehende oder skurrile Typen ab. Charaktere, Emotionen, Bewegung, das waren erst in der Malerei der Renaissance Themen.
Die Chance, dies zur Vollendung zu bringen, bot sich Leo­nardo in Mailand. Zehn Jahre nach seiner Ankunft in der Stadt – er war etwa 40 Jahre alt – bekam er den Auftrag, ein Bild für die Stirnwand des Refektoriums des Klosters Santa Maria delle Grazie in Mailand zu malen. „Das Abendmahl“, ein Wandgemälde mit 8,8 Metern Breite und 4,6 Metern Höhe, gehört zu den berühmtesten Bildern der Kunstgeschichte.
Leonardo hielt darauf den Moment fest, in dem Jesus seinen Jüngern sagt, dass ihn einer verraten würde. Jeder der Jünger reagiert anders, es sind Gesichter und Körperhaltungen voller Emotionen, wie sie bis dahin nicht dargestellt werden konnten. Leonardo profitierte von seinen anatomischen Studien und seiner Vorliebe für skurrile Gesichter, die er stets in seinen Notizbüchern festhielt.
Nach seiner Flucht aus Mailand im Dezember 1499 wegen des Einmarschs der Franzosen begannen Leonardos Wanderjahre. Über Venedig und Mantua kam er im April 1500 wieder nach Florenz, wo gerade die Tyrannei des Dominikanermönchs Savonarola zu Ende gegangen war. Im Frühjahr 1502 trat er in den Dienst Cesare Borgias, Herzog von Valentino, kaltblütiger Feldherr, Vorbild für Machiavellis „Fürst“. Danach ging er wieder zurück nach Mailand.
Zwischen 1503 und 1506 hat Leo­nardo in Mailand am Portraitbild „La Gioconda“ (italienisch: Die Heitere) – Mona Lisa – gemalt, aber in den Jahren danach immer wieder daran weitergearbeitet. Die Mona Lisa mit ihrem geheimnisvollen Lächeln und einem Blick, der dem Betrachter zu folgen scheint, wurde zu seinem Meisterwerk, in dem er seine in den 1470er Jahren entwickelte Sfumato-Technik zur Vollendung brachte.

Weichzeichnung in Vollendung – Mona Lisa

Das Geheimnis des Portraits liegt in den etwas verwischten Konturen und verschleierten Farben, die die Formen verschmelzen und der Phantasie des Betrachters einen gewissen Spielraum lassen. Vor allem bei den Augen und beim Lächeln der Mona Lisa geben die verschwommenen, wie mit Nebel umhüllten Übergänge den eigenen Vorstellungen Raum.
Leonardos Leben nahm noch mal einige Wendungen. 1513 wurde er Hofkünstler der Medici im Kirchenstaat in Rom. Die letzten beiden Jahre verbrachte er auf Einladung des neuen französischen Königs Franz I. im Schloss Clos Lucé in Amboise.
In Frankreich war Leonardo persönlich glücklich, aber auch resigniert, was die Menschheit anbetraf. Er malte verschiedene Wasserstudien der Sintflut und schrieb dabei düstere Prophezeiungen in sein Notizbuch: „Auf der Erde wird man Geschöpfe sich unaufhörlich bekämpfen sehen, mit sehr schweren Verlusten und zahlreichen Toten auf beiden Seiten. Ihre Arglist kennt keine Grenzen.“
In seinem Testament verfügte Leo­nardo, dass in drei verschiedenen Kirchen in Amboise Messen gelesen und Kerzen angezündet werden sollten und dass bei seiner Bestattung 60 arme Männer als Fackelträger teilnehmen sollten. Leonardo starb am 2. Mai 1519.