Zum 125. Jubiläum stellt das Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin seinen Namen in Frage. Der Grund: Bernhard Nocht (1857-1945) wird von einigen Seiten vorgeworfen, Rassist oder Nationalsozialist gewesen zu sein. 2022 gab das Institut deshalb ein Gutachten bei der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg in Auftrag, gleichzeitig wurde eine Biografie von der Forschungsstelle Hamburgs (post)koloniales Erbe erarbeitet. Bei der Suche nach Quellen sei jeder Stein umgedreht worden. „Jetzt liegt alles auf dem Tisch“, sagt Jürgen May, Vorstandsvorsitzender des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNITM), der die Ergebnisse mit den Autoren vorgestellt hatte.
Die Recherchen sollen eine Basis für weitere Diskussionen sein, ein klares Votum liefern sie nicht. Zur Frage, inwieweit Nocht ein Rassist war, haben beide Historiker unterschiedliche Auffassungen. Ein aktiver Nationalsozialist war Nocht nicht, darüber sind sich beide einig. „Wir müssen die Entscheidung für oder gegen eine Namensänderung sorgfältig prüfen“, sagt May. Darüber werde in der Vorstandssitzung in zwei Wochen beraten. Denkbar sei der Einsatz einer unabhängigen Kommission mit Expertinnen und Experten aus ehemaligen Kolonialgebieten, in der es um ethische und politische Fragen geht. „Auf jeden Fall wird 2025 entschieden, ob der Name bleibt oder nicht“, sagt May.
Nocht wusste wahrscheinlich von Menschenversuchen in Afrika
Bernhard Nocht wurde beim Militär ausgebildet und diente als junger Schiffsarzt. 1893 wurde er der erste Hamburger Hafenarzt, 1900 wurde er Direktor des neuen Hamburger Instituts für Schiffs- und Tropenkrankheiten. „Er war zweifellos ein bedeutender Mediziner, Wissenschaftler und Gesundheitsmanager“, sagt der Autor der Biografie, Markus Hedrich von der Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe. Nocht gilt als Vater der deutschen Tropenmedizin. Eine Disziplin, die nicht nur für medizinischen Fortschritt, Prävention und Heilung von exotischen Krankheiten steht, „sondern auch für die Unterstützung einer ausbeuterischen und gewalttätigen Kolonialpolitik“, sagt Hedrich.
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Als Arzt, Forscher und Manager der öffentlichen Gesundheit handelte Nocht auf einer rassistischen Grundlage, so das Gutachten. Er war überzeugt von der Differenz zwischen verschiedenen „Rassen“, schrieb „weißen“ und „schwarzen“ Menschen eine unterschiedliche Wertigkeit zu. „Nocht war ein Verfechter der räumlichen Trennung von Menschen nach rassischer Herkunft zum Infektionsschutz“, sagt Thomas Großbölting, Autor des Gutachtens und Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte. Im Gegensatz zu Robert Koch war Nocht zwar nicht an Menschenversuchen in Afrika beteiligt, wusste aber wahrscheinlich davon.
Nocht forderte die Rückgewinnung deutscher Kolonien
Nocht forderte zeitlebens die Rückgewinnung deutscher Kolonien, lehnte die Weimarer Republik ab. Als kaiserlich-konservativ denkender Militär waren seine „Schnittmengen mit der Politik der Nationalsozialisten groß“ und er ließ sich von den Nazis vereinnahmen, so Gutachter Großbölting. „Er war aber nicht Mitglied der NS-Partei und bis heute ist von ihm keine antisemitische Äußerung bekannt“, ergänzt Biografie-Autor Hedrich.
Aus heutiger Sicht wertet das Gutachten die Lebensgeschichte „ambivalent“. Auf persönlicher Ebene hätten die Quellenstudien keine „Smoking gun“ entdeckt, die Nocht unmittelbar als Kriegsverbrecher oder Verbrecher gegen die Menschlichkeit ausweist. „Das hätte ihn automatisch als Namensgeber des Instituts für Tropenmedizin disqualifiziert“, sagt Großbölting. „Dennoch bleiben viele Hinweise, die daran zweifeln lassen, dass wir heute Nocht einen Vorbildcharakter zusprächen: die kolonialrassistische Haltung gegenüber Menschen in Afrika, seine große Distanz zur Weimarer Republik, seine Nähe zum Nationalsozialismus“, sagt der Institutschef.