Ob Juden, Menschen mit Behinderung oder Queere: Viele Menschen machen in Deutschland Erfahrungen mit Diskriminierung. Die zuständigen Beauftragten legen den Finger in die Wunde – und fordern eine Reform.
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, rassistische Beleidigungen bei der Wohnungssuche, kein Job wegen einer Behinderung: Der Schutz vor Diskriminierung ist aus Sicht von acht zuständigen Beauftragten auf Bundesebene mehr als lückenhaft. “Unser Land steckt in einer Diskriminierungskrise”, sagte die unabhängige Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman am Dienstag in Berlin bei der Vorstellung eines gemeinsamen Berichts zum Stand der Dinge. Es gebe noch kein Sicherheitspaket für Menschen, die Diskriminierung erlebten und Angst davor hätten.
Zusammen fordern die Beauftragten die Ampel-Koalition dazu auf, für mehr Schutz vor Diskriminierung und eine stärkere Demokratieförderung zu sorgen.
Von 2021 bis 2023 meldeten sich laut dem Lagebericht rund 20.600 Ratsuchende bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Sie berichteten von Diskriminierungen wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder wegen der sexuellen Identität. Besonders häufig wandten sich den Angaben zufolge Betroffene an die Stelle, die rassistisch oder antisemitisch diskriminiert wurden.
Die Zahl der Beratungsanfragen steige kontinuierlich an, hieß es. Gleichzeitig sei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. In Umfragen berichteten etwa 16 bis 30 Prozent der Bevölkerung von Diskriminierungen.
Das geltende Recht helfe Menschen in vielen Fällen nicht, kritisiert der Lagebericht. “Die Diskriminierungserfahrungen in Deutschland belasten Betroffene und gefährden unsere Demokratie und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft”, erklärten die Beauftragten. In mehr als der Hälfte der Fälle habe man den Ratsuchenden nicht helfen können, so Ataman, die die Antidiskriminierungsstelle des Bundes leitet. Das liege daran, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz “schwach und lückenhaft” sei. Es müsse dringend reformiert werden.
Die Beauftragten fordern unter anderem, dass das Gleichbehandlungsgesetz auch auf staatliches Handeln, etwa von Ämtern, Polizei oder Justiz, angewendet wird. Auch sollten Menschen rechtlich geschützt sein, wenn sie aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert werden, zum Beispiel in Form von israelbezogenem Antisemitismus. Zudem müsse Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen sichergestellt werden – auch im Digitalen.
Ataman warnte davor, dass erreichte Fortschritte in Sachen Gleichbehandlung und Akzeptanz von Vielfalt wieder infrage gestellt würden. Es lasse sich eine Verrohung gesellschaftlicher Debatten feststellen. “Rechtsextreme, aber auch islamistische Hetze vergiften das Klima”, so die Beauftragte. Hassrede und Desinformation könnten ungehindert im Internet verbreitet werden. Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen markierten einen neuen Tiefpunkt: Zum ersten Mal seit 1945 hätten Rechtsextremisten eine Wahl in Deutschland gewonnen.