Von Beruf ist er Domherr in Frauenburg im deutsch-polnischen Ermland. Er fertigt Urkunden aus, beaufsichtigt die kircheneigene Kornmühle, kümmert sich um Bauerndörfer, sorgt für Saatgut und gesundes Vieh. In der Nacht aber beobachtet Nikolaus Kopernikus (1473-1543) vom Eckturm der Domburg aus die Bahnen der Gestirne. Die Instrumente hat der Priester, Mathematiker und Astronom selbst konstruiert.
Die Kollegen im Domkapitel werden misstrauisch. Einmal erscheint er tagelang nicht zum Gottesdienst, weil eine seltene Konstellation am Sternenhimmel seine Aufmerksamkeit fesselt. Man wirft ihm ketzerische Neigungen vor. Kopernikus antwortet ungerührt, Gott wünsche zwar das Gebet von seinen Dienern, aber er habe dafür keine bestimmten Stunden vorgeschrieben.
Seine umstürzende Idee, erhärtet in zahllosen Experimenten und Berechnungen, hält Kopernikus jahrzehntelang geheim: Die Erde ist nicht, wie seit jeher gedacht, unerschütterlicher Mittelpunkt unseres Planetensystems. Sondern sie dreht sich um die Sonne und zusätzlich noch um die eigene Achse.
Kopernikus zögert nicht nur aus Achtung vor den antiken Autoritäten, seine Erkenntnisse publik zu machen. Er fürchtet das Gelächter des Publikums: Kann nicht jedermann tagtäglich beobachten, wie die Sonne über den Himmel läuft und der Mond über der ruhig daliegenden Erde aufgeht? Und er fürchtet die Ketzerjäger der vatikanischen Inquisition.
Seit Kopernikus, wird der Philosoph Friedrich Nietzsche mehr als 300 Jahre später feststellen, „rollt der Mensch aus dem Zentrum ins X“. Schlug mit der Erkenntnis des Kopernikus, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt ist und die Erde nur ein unbedeutender Planet unter vielen, wirklich die Geburtsstunde des modernen Nihilismus*? Kann sich der seiner Selbstüberschätzung beraubte Mensch jetzt nur noch als „Tier“ fühlen, wie Nietzsche formulierte? Oder wollte Kopernikus ganz im Gegenteil dem Menschen Würde und Selbstbewusstsein retten, indem er die menschliche Vernunft für fähig erklärte, die harmonische Struktur des Universums zu erkennen?
Galilei belegte das Weltbild – Kepler entwickelte es weiter
Geboren am 19. Februar 1473 in der Handelsstadt Thorn an der Weichsel, begann der Kaufmannssohn in Krakau zu studieren, wo die berühmtesten Astronomen lehrten und eine sehr liberale Atmosphäre herrschte. „Ist das Weltall ewig?“, notierte sich der junge Kopernikus am Rand einer Lehrbuchseite. In Bologna, dem Zentrum der internationalen Rechtswissenschaft, studierte er drei Jahre lang Jura. In Padua eignete er sich profundes medizinisches Wissen an. Und in Ferrara legte er das Doktorexamen im Kirchenrecht ab.
Seine Leidenschaft blieb freilich eine nüchtern beobachtende, kritisch fragende Astronomie. Als er 1543 seine sechs Bücher über die Kreisbewegungen der Himmelskörper veröffentlichte, kam der erwartete wütende Widerstand zunächst nicht aus Rom, sondern von den konservativen Lehrstuhlinhabern an den Universitäten – und von Martin Luther: „Der Narr will die ganze Kunst Astronomie umkehren“, entrüstete sich der Reformator. „Aber wie die heilige Schrift anzeiget, so hieß Josua die Sonne stillstehen, und nicht das Erdreich.“
Papst Clemens VII. ließ sich Kopernikus‘ Gedankengänge von einem deutschen Gelehrten genau erklären, während er mit ihm in den Vatikanischen Gärten spazieren ging. Erst 1616 landete das Werk auf dem vatikanischen Index der verbotenen Bücher, wo es rund 200 Jahre lang bleiben sollte. Als Arbeitshypothese durfte das kopernikanische System jedoch weiter verwendet werden, was zum Beispiel im römischen Jesuitenkolleg noch geschah, als Galileo Galilei (1564-1642) schon lange verurteilt war.
Der Astronom Galilei hatte anhand seiner Forschungen das Weltbild von Kopernikus belegt: Es dreht sich nicht alles im Universum um die Erde. Die Kirchenoberen aber wollten eine von Gott geschaffene Erde im Zentrum sehen, auf der die Papstkirche ihre von Gott verliehene Macht ausübte. Die Inquisition verurteilte ihn, Galilei widerrief und stand bis zu seinem Tod unter Hausarrest. Auch Johannes Kepler entwickelte Kopernikus‘ Theorie weiter.
Kopernikus selbst hatte erst auf dem Sterbebett, als er bereits Gedächtnis und Fassungskraft verloren hatte, ein Exemplar seines Buches „De revolutionibus orbium coelestium“ oder „Über die Umschwünge der himmlischen Kreise“ in die Hand bekommen. Tags darauf starb er, am 24. Mai 1543 – vor 475 Jahren.