Rheinisch und katholisch: Beide Seiten hat Autorin Ulla Hahn in ihren autobiografischen Romanen verarbeitet. Vor 80 Jahren, kurz vor Kriegsende, wurde sie geboren. Ein Gespräch über Alter, Frieden – und Literatur.
Autorin Ulla Hahn wird am Mittwoch 80 Jahre alt. Die Schriftstellerin, die besonders durch ihre Lyrik und ihren Roman “Das verborgene Wort” bekannt und vielfach ausgezeichnet wurde, lebt zusammen mit ihrem Mann, dem SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi (96), in Hamburg. Sie wuchs in Monheim im Rheinland auf und verarbeitet das rheinisch-katholische Milieu in ihrem autobiografischen Roman-Zyklus.
Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach mit Ulla Hahn, die gegen die Folgen eines Schlaganfall kämpft, am Montag in Hamburg über ihre Kindheit, Widerstandskraft, Gottvertrauen und die Bedeutung von Lesen und Literatur.
Frage: Frau Hahn, Sie haben im “Verborgenen Wort” geschildert, dass Sie es in Ihrer Kindheit nicht leicht hatten. Was waren prägende Ereignisse?
Antwort: In der Familie hielt man nicht viel von Büchern, außer der Bibel natürlich. Und so wurde für dieses neugierige Kind Ulla alles, was mit Lernen und Lesen zu tun hatte, immer auch Kampf und damit irgendwie “prägend”. Natürlich half mir dann der Kindergarten und das Hören von erzählten Geschichten. Natürlich dann auch die Einschulung und dieses wunderbare “lesen lernen”; ich schuf mir bald auch eine eigene Gegenwelt und wurde zum Beispiel ein kindlicher Dauergast in der Monheimer Borromäus-“Bibliothek”. Mein Roman “Das verborgene Wort” beginnt ja mit dem Spruch auf einer ehrwürdigen mesopotamischen Wachstafel: “Mit Lesen und Schreiben fängt das Leben erst an.” Ja, so sehe ich es auch.
Frage: Inwiefern haben diese Erfahrungen Ihre Resilienz gestärkt?
Antwort: Lesen erschloss mir eine andere Welt, und das stärkte mein Selbstbewusstsein. Ich begann bald, diese andere Welt gegen das bücherferne Zuhause zu verteidigen. Das führte auch mal zu Streit, und dieser wiederum stärkte meinen Trotz: “Dat Kink hat ne eijene Kopp”, hieß es bald. Und wenn es nicht anders ging, dann griff ich auch mal zur Bibel und der Begegnung von Maria und Martha mit Jesus: Zuhören und Lernen war wichtiger als Küchenarbeit! Im Kindergarten und später dann in der Schule half mir diese Zähigkeit, besonders natürlich bei den Lehrern, mit denen ich sehr viel Glück hatte und denen ich sehr viel verdanke!
Frage: Helfen Ihnen diese Kindheitserfahrungen auch heute bei der Bewältigung Ihrer gesundheitlichen Einschränkungen durch den Schlaganfall? Und wenn ja: Inwiefern?
Antwort: Vielleicht. Jedenfalls habe ich früh gelernt, mich auf mich selbst zu verlassen. Der Erfolg kam ja nicht von allein, ich hatte immer auch herbe Kritiker. Besonders, weil ich angeblich “zu leicht verständlich” schrieb. Nicht nachgeben, dir selbst vertrauen. Durchzuhalten hatte ich also auch als Schriftstellerin früh gelernt. Und übrigens: Ich möchte ja auch verstanden werden! Ich halte wenig vom selbstgemachten Versteckspiel vor meinen Leserinnen und Lesern. Schreiben ist Kommunikation und nicht Rätselraten.
Frage: Was empfehlen Sie anderen Menschen, die gegen Krankheiten kämpfen? Welche innere Einstellung hilft?
Antwort: Für mich ist ein festes “Gottvertrauen” wichtig: Das gibt mir Kraft. Aber das muss man wohl in sich selbst finden, und ein Rat von außen kann da oft wenig helfen, denke ich. Aber fromme Menschen haben mir oft mit ihrer Art, meine Literatur zu verstehen, sehr geholfen. So zum Beispiel der leider kürzlich verstorbene ehemalige Hamburger Erzbischof Werner Thissen. Auch ihm verdanke ich viel. Er wird meinem Mann und mir sehr fehlen.
Frage: Wie sollte die Gesellschaft mit den Themen Krankheit, Tod und Vergänglichkeit umgehen?
Antwort: Der Tod ist Teil des Lebens. Und so sollte man damit umgehen. Ich schrieb einmal ein Gedicht über meinen Vater, das mir sehr wichtig war und ist. Und obwohl er nun schon lange tot ist – lebt er doch weiter! In der aufgeschriebenen Erinnerung. Alles auf dieser Erde ist doch vergänglich, und manches offenbar sehr viel schneller als wir oft dachten. Ich lese gegenwärtig besonders gerne auch im Alten Testament. Da wird einem die menschliche Vergänglichkeit, finde ich, besonders deutlich.
Frage: Sie sind in einem streng katholischen Elternhaus aufgewachsen und hatten unter der Atmosphäre und manchen Regeln sehr zu leiden. Wie blicken Sie heute auf die Kirche?
Antwort: Mit Sorge, aber dann auch mit Hoffnung. Frieden ist der große ökumenisch-christliche Auftrag, und hier haben aus meiner Sicht gerade die christlichen Kirchen heute ihre große Aufgabe. Denn diese allgemeine Stimmung, die den Eindruck vermittelt, als gelänge Frieden ganz von selbst, gleichgültig wie sehr Waffen und Kriegstüchtigkeit unseren Tag bestimmen, diese Stimmung ist aus meiner Sicht doch sehr gefährlich.
Frage: Hat der Glaube für Sie noch eine Bedeutung?
Antwort: Ja, aber gewiss.
Frage: Sie werden 80 Jahre alt. Was bedeutet das Alter für Sie?
Antwort: Ich kann die “80” noch immer nicht so recht glauben. Trotz meiner schweren Behinderung, die doch nur langsam weicht, spüre ich noch so viel Lebensinteresse in mir! Alter, so erfahre ich nun, ist nicht nur Rückblick und Erfahrung, sondern auch Hoffnung.
Frage: Wie sieht ein gelungener Tag in diesem Alter für Sie aus?
Antwort: Eine gute Physiotherapie, ein paar ruhige Stunden, Lesen und Zeit für Gespräche mit meinem Mann Klaus Dohnanyi. Und wenn ich Glück habe, dann auch kurz raus in die Natur, wenn auch im Rollstuhl.
Frage: Was können Lesen und Literatur in der krisenbehafteten Welt von heute leisten?