Wer kennt die Namen von wenigstens zwei oder drei Komponistinnen? Kaum jemand, denn ihre Werke werden selten gespielt. Zeit für eine Wiederentdeckung.
“Ich werde noch keinen Namen nennen, aber wir werden erstmals das Werk einer Komponistin beim Neujahrskonzert aufführen”, kündigte Daniel Froschauer, Orchestervorstand der Wiener Philharmoniker Mitte August in Salzburg an. Damit reagierte er auf die Kritik, die immer wieder an die Wiener Philharmoniker herangetragen wird. Wann wird endlich mal eine Frau das renommierte und weltweit beachtete Konzert leiten? Oder wann wird das Werk einer Komponistin bei diesem Event gespielt?
Am Neujahrstag 2024 hat die österreichische Musikwissenschaftlerin und Journalistin Irene Suchy ein alternatives Konzert in Wien organisiert, bei dem nur Werke von Komponistinnen gespielt wurden. Mit dem Konzert sollten nach Angaben der Veranstalterin zum ersten Mal die großen Walzer-Komponistinnen vorgestellt werden, die von Wien aus mit ihrer Musik die Welt eroberten. Obwohl ihre Namen heute einem breiten Publikum nicht bekannt sind, war das einmal anders.
“Zu jeder Zeit und in jedem Land gab es wagemutige und zaghafte Frauen, Frauen voller Kampfgeist, weibliche Glückskinder, weibliche Strafgefangene, Marquisen, Ehefrauen, Schwestern, Nonnen, Divas, Waisenmädchen, Fromme oder Femmes fatales, die einen Platz in der klassischen Musik eingenommen haben”, sagt Aliette de Laleu. Die französische Journalistin und Musikwissenschaftlerin hat jetzt ein Buch über Komponistinnen veröffentlicht, beginnend in der Antike bis hin zur Gegenwart. Sie nimmt auch den Musikbetrieb als Ganzes in den Blick, fragt also danach, wie Frauen in Orchestern oder als Dirigentinnen ihren Weg nahmen.
In eigentlich jeder Epoche gab es Komponistinnen, die zu Lebzeiten bekannt waren und dann in Vergessenheit gerieten. Geht es zum Beispiel um Barockmusik, so werden zügig Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel oder Antonio Vivaldi genannt. Die Autorin Laleu stellt in ihrem Buch Francesca Caccini (1587-1640) vor, die am Hof der Medici in Florenz sang und komponierte – sogar eine Oper, was damals neu und aufregend war. Oder Elisabeth-Claude Jacquet de La Guerre (1665-1727), die den Sonnenkönig Ludwig XIV. und seinen Hof mit Gesang, Sonaten oder Kantaten erfreute.
“Mozart war eine Frau” – so lautete der Titel des Buches im französischen Original. Die Musikwissenschaftlerin Laleu weist auf Maria Anna (“Nannerl”) Mozart (1751-1829) hin, die ältere Schwester des Komponisten. Sie war wie ihr Bruder Wolfgang Amadeus ein Wunderkind, aber so Laleu, ihr Vater lehnte es ab, dass sie Berufsmusikerin wurde und schon gar nicht Komponistin. Sie sollte stattdessen heiraten.
Gesellschaftliche Konventionen und Vorurteile haben es den Frauen in der Musikwelt sehr schwer gemacht. Aber wer hat die Frauen aus der Musikgeschichte gelöscht, so dass ihre Namen heute kaum bekannt sind und ihre Werke nur selten gespielt werden?
Aliette de Laleu hat dafür keine eindeutige Antwort. Sie sagt, es handele sich um eine ganze Reihe von verschiedenen Faktoren, die sich zuungunsten der Frauen ausgewirkt haben. Ihre Leistungen wurden herabgewürdigt oder ihnen der Weg in die Öffentlichkeit versperrt. Dazu kamen explizite Verbote oder medizinische oder moralische Vorbehalte. Bestimmte Instrumente galten als unweiblich oder schlecht für die Gesundheit der Frauen, erklärt die Musikwissenschaftlerin.
Sie weist auch auf die Untersuchungen von Florence Launay hin, dass sich mit der Einführung der Musikwissenschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Narrativ geändert habe. Die Musikwissenschaft habe einen Kanon wichtiger Komponisten und Werke aufgestellt, dabei seien die Frauen ausgeschlossen worden.