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„Ausverkauf der Menschenrechte“ – die neuen Regelungen des Flüchtlingsrechts

Kürzlich fielen Beschlüsse zu neuen Regelungen des Flüchtlingsrechts in Europa, die flüchtenden Menschen die Schutzsuche erschweren. Ein Kommentar zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni.

Foto: Peggy Marco/PD

Am 8. Juni haben sich die EU-Staaten auf einen Kompromiss bei den Asylverfahren geeinigt. Der sieht einen härteren Umgang mit geflüchteten Menschen vor. Geplant ist das Grenzverfahren für alle aus Staaten mit einer Anerkennungsquote unter 20 Prozent. Sie sollen nach dem Übertritt der EU-Grenze unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierten Aufnahmeeinrichtungen untergebracht werden. Nach spätestens zwölf Wochen soll es eine Entscheidung über ihr Asylgesuch geben. Ist sie negativ, ­werden sie sofort zurückgeschickt.

Der Weltflüchtlingstag am 20. Juni wurde von den Vereinten Nationen als Tag zum Schutz für Geflüchtete und ihrer Rechte ins Leben gerufen. Wenige Tage vor dem Weltflüchtlingstag 2023 haben die Innen­minister der Europäischen Union den Rechten von Geflüchteten großen Schaden zugefügt: Die Reform des GEAS (Gemeinsames Europäisches Asylsystem) wird, wenn sie so umgesetzt wird wie beschlossen, vieles schlechter und wenig besser machen: Schutzsuchende sollen in Haftlagern an den Außengrenzen registriert werden. Wessen Asylantrag zulässig ist, der soll innerhalb von drei Monaten in Europa verteilt werden. Bei Nichtzulässigkeit soll möglichst schnell abgeschoben werden.

Falsches Signal

Ich halte es für ein grundsätzlich falsches Signal, Menschen, die Schutz und Sicherheit suchen, zu inhaftieren. Skandalös ist, dass nicht einmal Kinder von diesem Vorgehen ausgenommen werden sollen.

Ich bezweifle, dass in solchen Grenzverfahren faire Entscheidungen getroffen werden: Das Recht, den individuellen Schutzanspruch prüfen zu lassen, geht verloren, wenn nach Herkunft kategorisiert wird. Und Rechtshilfe? Beratung und Anwält:innen werden in der Umgebung der Haftzentren kaum verfügbar sein.

Über Jahre in Lagern

Wenn man sich die Blaupausen der angedachten Haftzentren auf den griechischen Inseln anschaut, dann nehmen die Bedenken Gestalt an. Es gelingt schon dort schlecht, besonders Schutzbedürftige wie Folter­opfer, Traumatisierte, Kinder, Menschen mit Beeinträchtigungen zu identifizieren oder gar zu behandeln. Es mangelt an fast allem. Die Verfahren sind nicht schneller geworden. Schutzsuchende – und Anerkannte – hängen über Jahre in den Lagern fest.

Gut, eine verpflichtende Verteilung derjenigen mit „besserer Bleibeperspektive“ ist jetzt angedacht. Von der kann man sich allerdings freikaufen. Wie die Verteilung aussehen soll, ist unklar. Zusagen zur Aufnahme und Verteilung in Europa haben bisher noch in keinem Fall funktioniert. Nicht ­angedacht ist, zu berücksichtigen, wo sich Geflüchtete am besten ­integrieren könnten: Beispielsweise wo bereits ihre Familie lebt oder die Sprache ­beherrscht wird.

Zwischen Gewalt und Unsicherheit

Weiterhin werden Zustände wie in Litauen, wo die Behörden mit Gewalt und Pushbacks auf den Zustrom Aslysuchender von Belarus aus reagieren, oder Kroatien, wo Flüchtlinge an der Grenze massiver Gewalt ausgesetzt sind, Abwehr signalisieren. Also wird es vermutlich auch in Zukunft Weiterwanderung innerhalb der EU geben. Wer das in Zukunft tut, den erwartet ein verschärftes „Dublin-System“. Wie es Menschen dann nach Flucht und Inhaftierung an der Grenze oder im Limbo, in Unsicherheit umherirrend in Europa gehen wird, mag ich mir nicht vorstellen.

Und die geplanten schnellen Abschiebungen? Erst müssen noch rasch die Standards gesenkt werden, damit aus Ländern wie Tunesien oder Libyen formal „sichere“ Drittstaaten werden. Auch hier ist das Modellprojekt, der EU-Türkei-Deal, gescheitert: Weder ist die Türkei sicher, noch nimmt sie Menschen aus Griechenland zurück. Stattdessen setzt Griechenland die Menschen schon einmal auf offenem Meer aus. Soll so zukünftig ein Gesamt-EU-Konzept aussehen?

Mehr Mut zur Menschlichkeit!

Zusammenfassend: Ich finde den geplanten Ausverkauf der Menschenrechte Geflüchteter empörend und beschämend.

Stattdessen wünschte ich mir: Wirklichen Schutz für Schutzbedürftige (zur Erinnerung: das sind in Deutschland 70 Prozent der Asylsuchenden), unbürokratische Zuwanderungsalternativen (denn wir brauchen Zuwanderung in großer Zahl) und mehr Mut zu Menschlichkeit und echter Solidarität.

Gedenkaktion Flüchtlingstag 2023: „Beim Namen nennen – über 51 000 Opfer der Festung Europa“. 32 Stunden von
Sa, 17. Juni, 10 Uhr durchgehend bis So, 18. Juni, 18 Uhr. Zum Abschluss der Gedenkaktion veranstaltet Asyl in der Kirche Berlin-Brandenburg e.V. mit dem Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS), der Gemeinschaft Sant‘Egidio und der Caritas einen ökumenischen Gedenkgottesdienst: 18. Juni um 18 Uhr in der Passionskirche am Marheinekeplatz 1, Berlin-Kreuzberg.
Mehr unter kirchenasyl-bb.de/portfolio/oekumenischer-gedenkgottesdienst-sterben-auf-dem-weg-der-hoffnung-jeder-name-zaehlt