Von Juliane Rumpel
Die Passionsspiele sind verschoben worden. Das passierte schon einmal, vor genau 100 Jahren, damals wurden sie wegen der Spanischen Grippe, heute wegen Covid-19 verschoben. Passionsspiele kann man verschieben. Passionszeit nicht. Sie ist jedes Jahr: beginnt am Aschermittwoch und endet in der Osternacht, auch dieses Jahr. Und doch ist es eine andere Passionszeit. Vielleicht die intensivste, die Menschen seit Jahrzehnten erlebt haben, vielleicht auch die ehrlichste. Passionszeit heißt Leidenszeit. Die einen leiden derzeit, weil sie so viel arbeiten müssen wie nie zuvor, und die anderen leiden, weil sie zum Nichtstun vergattert sind. Viele leiden unter Krankheit, unter Atemnot und Lungenentzündung. Angehörige leiden, weil sie ihre Kranken, ihre Alten nicht besuchen zu dürfen. Und das sind nur die Leiden in unserem Land: Südlich, östlich, westlich von uns leiden Menschen noch viel mehr. Oft unbemerkt, zu sehr drehen sich unsere Nachrichten in diesen Tagen um uns und unser Leid.Passionszeit ist Leidenszeit. Die christliche Passionszeit allerdings ist nicht nur unverschiebbar, sie ist auch endlich. Ihr Ende ist sein Ende. Mit dem Ende des Jesus von Nazareth endet auch die Passionszeit: mit seinem letzten Mahl, dem wir in diesem Jahr nur zu Hause am Küchentisch nachspüren dürfen, endet mit Jesu Gefangennahme, seiner Geißelung und Verspottung, schließlich mit seinem Tod.Passionszeit ist Leidenszeit. Nicht unserer Leiden gedenken wir in der Karwoche, sondern Jesu Leiden. Auch der Karfreitag in diesem Jahr wird intensiv und ehrlich still wie selten. Es wird keinen Streit darum geben, ob das Tanzverbot nicht endlich gelockert werden müsste. Alles hat zu, kein Tanz, nirgends, einzig die Kirchenglocken werden wir hören, allüberall um 15 Uhr zur Sterbestunde. Und dann müssen wir ausharren. Bis zum dritten Tage seinen Tod aushalten, seine Abwesenheit, können den Schmerz nicht lindern, wie das oft geschieht, durch das Abendmahl. Dieses Jahr nur Abwesenheit, seine und unsere.Karsamstag dann, ein Zwischentag, einer zwischen Tod und Leben. Bisher gab es nur einen, der an dieser Stelle war, nur Jesus. Unsere Tage zwischen Geburt und Sterben – sie sind auch Zwischentage allesamt, jedoch Tage zwischen Leben und Tod. Und Karsamstag, der Tag an dem die Karfreitagsstille noch nachklingt, wir aber fast schon jenseits der Stille sind, er lässt mich spüren, wie unvernünftig wir oft mit unseren Zwischentagen umgehen: Denn wir kommen auf diese Welt und haben nichts und wir verlassen sie wieder und können nichts mitnehmen. Und die Zeit dazwischen verbringen wir viel zu oft damit, uns um dieses, was wir nicht mitbrachten und was wir nicht mitnehmen können, zu streiten.Und dann kommt Ostern: Es wird ein seltsames Osterfest werden, eines an das wir uns noch lange erinnern. Es wird werden wie beim allerersten Osterfest: Damals gingen zwei (mehr dürfen es ja heute auch nicht sein) zu einem Grab, doch das Grab war leer. Der gemeinsame Liebesdienst war nicht möglich. Die zwei blieben allein. Seltsam und schmerzhaft jener erste Ostermorgen.