Von Tilman Asmus Fischer
„Ob in Aquarell oder Zeichnung, Video oder Performance, er hat kein Thema unberührt gelassen und seine Werke sprechen als kraftvolle Appelle unser Gewissen an.“ Mit diesen Worten würdigte Unesco-Generaldirektorin Audrey Azoulay Ende Oktober den kamerunischen Künstler Barthélémy Toguo anlässlich seiner Aufnahme in die Unesco-Liste der „Künstler für den Frieden“. Hiermit erkennt die für Kultur zuständige Sonderorganisation der Vereinten Nationen Toguos langjährige ästhetische Auseinandersetzung mit Fragen globaler Ungerechtigkeit und das Eintreten für Menschlichkeit an. Sie prägen das Werk des 1967 geborenen und heute in Paris und Bandjoun, Kamerun, lebenden Künstlers. Aufgrund seiner doppelten Beheimatung knüpft er in sehr spannender Weise an künstlerische Traditionen Europas wie Afrikas an.
Obwohl Toguo, der 1994 bis 1996 an der Kunstakademie Düsseldorf studierte, immer wieder auch in Deutschland tätig war, wird er hierzulande nicht in gleicher Intensität wie in Frankreich rezipiert. Sowohl die noch bis 5. Dezember im Pariser Musée du Quai Branly laufende Ausstellung „Désir de l’humanité“ (Sehnsucht nach Menschlichkeit) als auch der hierzu erschienene (französischsprachige) Katalog eröffnen spannende Einblicke in das Œuvre des Künstlers.
Kunst als Frage nach Empathie
Anhand von Hunger, Krieg, Machtmissbrauch und Migration setzt sich Toguo mit dem Versagen von Gesellschaft, Politik – letztlich unserer Menschlichkeit auseinander. Mit eindrücklichen Bildern fragt der Künstler die Betrachter nach ihrer Empathie beziehungsweise ihrer Fähigkeit, humanitäre Missstände wahrzunehmen und sich von ihnen bewegen zu lassen.
Dabei geht es zunächst um eine innere seelische Bewegung, sodann aber lässt sich an den Bildern die Motivation erspüren, zu veränderndem Handeln anzuregen. Dabei bedient sich Toguo einer breiten Palette an Ausdrucksformen von Zeichnungen und Gemälden über Skulpturen und Installationen bis hin zu Videos, die teils eigene Performances dokumentieren.
Motiv der Kreuzigung
Durch die Werke Toguos zieht sich über Jahre eine künstlerische Handschrift mit hohem Wiedererkennungswert, die sich nicht zuletzt durch eine expressive Darstellung der leidenden Kreatur auszeichnet. Dies hat spezifische Motive hervorgebracht, die – in schon fast ikonischer Weise – auch in „Désir de l’humanité“ immer wieder aufgegriffen werden. Hierzu gehört an vorderster Stelle dasjenige Motiv der Kreuzigung. Die findet sich zumeist angedeutet durch in den Körper von Geschöpfen eindringende Nägel, kann sich jedoch auch, wie etwa in dem Aquarell „Purification XXX“ (2013), näher an klassische Darstellungen des Gekreuzigten anlehnen.
In faszinierender wie beklemmender Weise spricht Toguo in solchen – keineswegs explizit religiösen – Kunstwerken den Betrachter auf die Verletzlichkeit und immer wieder sich ereignende Negierung der Menschlichkeit an. Indem er hierzu auf das vom Christentum her geprägte Bildfeld der Kreuzigung zurückgreift, öffnet er seine Werke auch für theologische Deutungen. So kann aus einer christlichen Perspektive in seinen Bildern ästhetisch erfahrbar werden, was Joseph Ratzinger als die „zweite Realpräsenz“ bezeichnet hat: „Neben der Realpräsenz Jesu in der Kirche, im Sakrament, gibt es jene andere, zweite Realpräsenz Jesu in den Geringsten, in den Getretenen dieser Welt, in den Letzten, in denen ER von uns gefunden sein will.“
Konkretion und Kraft
Und Toguo geht es um eben dieses Finden – das Wahrnehmen – des Nächsten, von dem wir uns anrühren lassen und zu dessen Situation wir uns verhalten, auf die wir antworten müssen. Dass Toguo auf derart existenzieller Ebene den Menschen auf seine und seines Mitmenschen Menschlichkeit anspricht, führt dazu, dass stets der konkrete Mensch im Zentrum seiner Werke steht. Diese Konkretion gibt seiner engagierten Kunst eine bewegende Kraft, bewahrt sie aber zugleich vor oberflächlicher politischer Symbolik.