Er beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage, wie Gottesdienste attraktiver und theologisch fundierter werden können: Der Hildesheimer Theologe und Kirchenmusiker Jochen Arnold kandidiert am ersten Aprilwochenende für das Bischofsamt in Berlin. Im Interview spricht er über seine theologische Prägungen, die Herausforderungen für die Landeskirche und zukunftsfähige Strukturen für die EKBO.
Herr Arnold, was haben Sie gedacht, als die Anfrage aus Berlin kam?Als die SMS von der Präses kam, dachte ich, es wäre eine Einladung zu einem Vortrag. Als ich dann beim Telefonat am Samstagabend hörte, worum es wirklich ging, hielt ich erst einmal die Luft an, freute mich, war sehr bewegt und dachte: Was für eine Chance.Wie sind Sie theologisch geprägt worden? Von meinem württembergischen Kontext her war ich zunächst eher konservativ bis pietistisch geprägt. Doch dann habe ich beim Studium in Tübingen Luthers Theologie als große Befreiung entdeckt: Glaube ist ein Geschenk, ein Werk Gottes. In Rom hat sich meine Theologie ökumenisch geweitet, durch internationale Tätigkeiten und Begegnungen wurde diese Sicht vertieft.Welches Musikstück fällt Ihnen als Bild für das Bischofsamt ein?
Ich vergleiche unser Leben, unsere Welt mit einer großen Sinfonie, mit einem Weltchor und einem Weltorchester. Gott ist der große Komponist. Die Christen musizieren das große Oratorium „Vom Reich Gottes“. Den Bischof sehe ich als Dirigenten. Ein Diener des göttlichen Komponisten, immer fokussiert darauf, die Partitur, also das Evangelium, zum Klingen zu bringen. Aber er ist auch ein Diener der Menschen, der Musikerinnen und Musiker. Er lässt ihre Begabungen, ihre Stimmen und Instrumente, zur Entfaltung kommen. Er versucht, ihre Gaben zu entdecken und zum Klingen zu bringen und die große Vision des göttlichen Stückes gemeinsam wach zu halten.Wie wollen Sie den Kontakt zu den Gemeindegliedern halten?Ich möchte regelmäßig präsent sein in den Gemeinden Brandenburgs und der Lausitz, auf kleineren und größeren Kanzeln stehen, natürlich auch in Berlin, und das Amt des Bischofs von der menschenfreundlichen Feier des Gottesdienstes her ausfüllen. Ich würde gern regelmäßig offene Abende machen und zuhören, was die Menschen fragen, um dann gemeinsam nach Antworten zu suchen. „Singen mit dem Bischof“ könnte auch ein Format sein.
„Mit dem Evangelium eine gerechte Welt vor der eigenen Tür gestalten“, sagten Sie in Ihrer Vorstellungspredigt – wo sehen Sie Herausforderungen von Kirche in Berlin, Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz?Die angespannte Wohnungssituation in Berlin ist eine große Aufgabe für Diakonie und Kirche. Dann sehe ich, wie auf den Dörfern Einrichtungen des öffentlichen Lebens wie Ärzte, Einkaufsmöglichkeiten, Infrastruktur verschwinden. Ich sehe das Armutsrisiko für Alleinerziehende und Familien mit Kindern, besonders in der Uckermark und Nordbrandenburg. Wir müssen hier die Stimme erheben, dass Armut nicht zum Normalfall wird. Und natürlich ist da der Strukturwandel in der Lausitz. Es gilt, Gespräche zu moderieren, betriebliche Eigeninitiativen zu unterstützen und den Menschen Mut zu machen, dass sie bleiben und das Leben in der Region lebenswert gestalten. Dort präsent zu sein, wo das „Leben spielt“.Eine zentrale Herausforderung ist es, dem Rechtspopulismus zu begegnen. Ich möchte die Menschen und das, was sie an Ängsten haben, ernstnehmen und über ihre Sehnsüchte und Hoffnungen sprechen. Aber auch: Partei ergreifen, wenn Minderheiten – entgegen der versöhnenden Botschaft des Evangeliums – diffamiert oder ausgegrenzt werden.
Was kann Kirche angesichts sinkender Mitgliedszahlen tun?Wir dürfen uns selber nicht schlecht reden. Wir feiern viele wunderbare Gottesdienste. Und was wir diakonisch und kulturell tun, ist ein gigantischer Sympathiefaktor, der Brücken baut in die Gesellschaft. Im interreligiösen Dialog gestalten wir menschliches Zusammenleben, ein wichtiger Beitrag zur Friedenssicherung. Das Wichtigste aber ist, dass wir die Botschaft Jesu klar sagen: „Du bist von Gott angenommen. Dein Leben hat einen Sinn, auch für andere.“
Welche Strukturen könnten für die EKBO zukunftsfähig sein?In Hannover diskutieren wir über die „Personal- oder Profilgemeinde“ als zweite Form neben der Parochie: Damit geht es nicht um eine Abwertung unserer Kirchengemeinden, sondern darum, dass wir auch an neue Orte aufbrechen. Ich habe als Beispiel ein „Grünes Sofa am Rhein“ vor Augen. Zwei Hauptamtliche setzten sich auf dieses Sofa und waren bei einer Tasse Kaffee ansprechbar für die Menschen, die vorbeikamen. Daraus entstand eine neue Art von Gemeinde, die sich jetzt in einer Kneipe trifft und dort sogar zusammen betet. Es ist im besten Sinne „Kirche aus dem Häuschen“. Auch in der Jugendarbeit der EKBO gibt es schon solche Ansätze.
Welche Erfahrung im Ehrenamt haben Sie und wie würde für Sie eine Kultur der Wertschätzung aussehen? Ich habe Ehrenämter seit meiner Konfirmation: Kindergottesdienst, Jugend- und Schülerarbeit, Engagement beim Kirchentag und Mitarbeit in der Flüchtlingshilfe. Ich führe in Hildesheim regelmäßig Mitarbeitergespräche. Ich nehme wahr, was Haupt- und Ehrenamtliche bewegt und was sie tun. Das gehört für mich zur Kultur der Wertschätzung! Viele gehen oft bis an ihre Grenzen und manchmal darüber hinaus. Ich ermutige sie, dann Hilfe in Anspruch zu nehmen, zum Beispiel in Einrichtungen wie Respiratio: Seelsorgerinnen und Therapeuten begleiten sie dort in der Auszeit. Und sie kommen anders wieder zurück. Gestärkt, aufgerichtet, offen für Neues.
Wie leben Sie persönlich Spiritualität? Beten und Bibellesen. Musik hören von Bach über Brahms bis Grönemeyer oder Silbermond. Mit einem Kyrie oder Psalmvers im Kopf die Natur entdecken. Andachten feiern mit Kolleginnen und Kollegen, mit der Gemeinde. Wir brauchen in der Kirche einen Aufbruch für zeitgemäße spirituelle Formen, die uns zu Gott und zu uns selbst, bringen. Wir verbringen zu viel Zeit in Sitzungen und Strukturdebatten, haben zu wenig Freiräume für das biblische Wort, für Gespräche miteinander. Ich selbst lebe das „Drei zu eins-Prinzip“. Ich denke am Abend, vor mir und vor Gott, an drei schöne Dinge und an eins, das nicht so gut war. Also dreimal Gloria, einmal Kyrie. So bleibe ich geistlich in der Balance.