Javier Milei ist seit einem Jahr im Amt. Der libertäre Präsident polarisiert mit seinem Reformkurs, kann aber Erfolge vorweisen. Für viele Menschen sind die Folgen enorm.
Das “Geschenk” zum Jahrestag der Präsidentschaft kam aus der Nachbarstadt Montevideo. Am Freitag gaben die Europäische Union und das südamerikanische Handelsbündnis Mercosur den Abschluss der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen bekannt.
Erst einmal ist das ein symbolischer Schritt, denn in Brüssel wartet auf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen viel harte Arbeit: Sie muss die Gegner noch überzeugen. Insbesondere Frankreich sieht das Abkommen als eine Bedrohung seiner Landwirtschaft, denn die brasilianische Agrar-Industrie ist hocheffizient, aber wegen ihrer Abholzungshistorie umstritten. Für den überzeugten Anhänger des Freihandels, Javier Milei, ist es ein weiterer Baustein bei dessen Versuch Argentinien, aus der Wirtschaftskrise zu führen. Er hätte am liebsten auch noch ein Freihandelsabkommen mit den USA.
Am kommenden Dienstag ist der libertäre Präsident ein Jahr im Amt. Und die Welt schaut nach Argentinien. Mit seinen radikalen Reformen hat Milei bemerkenswerte ökonomische Ergebnisse erzielt, aber auch dramatische soziale Kollateralschäden zu verantworten. Am Donnerstag schrieb die Zeitung “El Observador” aus Uruguay: “Das Undenkbare ist passiert”.
Ein wiederkehrendes Thema in Argentinien ist die steigende Inflation. Nun ist die Lücke zwischen dem Schwarzmarkt und dem regulären Dollarkurs geschlossen. Bliebe dies so, wäre der Schwarzmarkt besiegt und es würde keinen Sinn mehr machen, Dollars gegen Pesos zu tauschen. Die monatliche Inflation ging von 25 Prozent auf unter drei Prozent zurück, der Staat fährt Haushaltsüberschüsse ein; die Energiehandelsbilanz wirft erstmals seit Jahren Milliarden ab. Die Stimmung in der Wirtschaft ist zuversichtlich.
Doch es gibt auch eine andere Seite der Medaille, denn ökonomische Kennziffern kann man nicht essen. Die sozialen Auswirkungen seines wirtschaftsliberalen Reformkurses sind dramatisch. Die ohnehin schon hohe Armutsrate stieg auf über 50 Prozent. Dazu kommen Massenentlassungen im öffentlichen Dienst, um den aufgeblähten Staatsapparat zu verschlanken. Die damit einhergehende Rezession haben rund 5.000 Kleinstunternehmen nicht überlebt. In den Armenvierteln herrscht Hunger, die Mittelschicht kämpft ums Überleben.
Milei hatte das alles angekündigt und von einem schweren ersten Jahr gesprochen. Danach, so sagt es der radikal-marktliberale Politiker, werde die Wirtschaft wachsen, werde sich das Land erholen. Ähnlich sehen es die Analysten der Investmentbank JPMorgan, die ganz offiziell die Rezession für beendet erklärten. Nun sieht sie Argentinien vor einer Phase des Wachstums.
Um das zu erreichen, braucht es aber auch Investoren. Die schauen interessiert nach Argentinien, loben die Entwicklungen, halten sich aber noch zurück. Nun liegt das Schicksal des Landes und die politische Zukunft in den Händen jener, denen Milei am meisten vertraut: den Märkten: “Wir gehen nicht zurück in die Vergangenheit, wir sind die Zukunft”, forderte Milei die abwartenden Unternehmer zu Investitionen auf. Aus diesen Kreisen kommt bislang viel Lob, aber wenige feste Investitionszusagen. Ohne die wird es aber schwer werden, ein nachhaltiges Wachstum auf die Beine zu stellen.
Die argentinische Bevölkerung, die unter den Sparmaßnahmen, den gestiegenen Preisen und der Rezession leidet, geht ganz offenbar den schweren Weg mit. Laut Zeitung “Clarin”, die dem libertär-liberalen Regierungslager nahesteht, gehen die Umfragewerte für Milei nach der Stabilisierung der makroökonomischen Daten nach oben. Wären heute Parlamentswahlen, die turnusmäßig Ende 2025 anstehen, käme Mileis libertäre Bewegung La Libertad Avanza laut Institut Sentimetro auf 46 Prozent der Stimmen. Die politische Landschaft wie Argentinien sie jahrzehntelang kannte, gäbe es nicht mehr. Als hätte sie eine Kettensäge zerstört.