Die US-amerikanisch-polnische Historikerin und Publizistin Anne Applebaum ist am Sonntag mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. In ihrer Laudatio in der Frankfurter Paulskirche lobte die russische Menschenrechtlerin Irina Scherbakowa die 60-Jährige als eine der ersten Beobachterinnen im Westen, die die autoritäre Entwicklung Russlands unter Putin erkannt habe.
Applebaum habe den westlichen Ländern vor Augen geführt, dass sie sich gegenüber der Aggressivität Russlands „im wahrsten Sinne des Wortes “verteidigen müssten, sagte Scherbakowa. Die Kulturwissenschaftlerin ist Mitbegründerin der seit 2022 in Russland verbotenen Menschenrechtsorganisation Memorial, der im selben Jahr der Friedensnobelpreis zuerkannt wurde.
Scherbakowa, die ihr Heimatland 2022 verließ, warnte davor, die Gefahr zu unterschätzen, die von der Bedrohung durch das Putin-Regime ausgehe. Applebaum habe aufgezeigt, dass der Sieg über den Faschismus für die Länder in Osteuropa keine Befreiung gewesen sei. Vielmehr habe das russische System mit seiner Mischung aus Terror und Gewalt für sie eine andere Form von Diktatur gebracht.
In der Begründung zur Verleihung des Friedenspreises lobte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels Applebaum als eine der wichtigsten Analytikerinnen autokratischer Herrschaftssysteme. Die Expertin der osteuropäischen Geschichte habe schon früh vor einer möglichen gewaltvollen Expansionspolitik des russischen Präsidenten Putin gewarnt. Das Werk der Historikerin sei ein wichtiger Beitrag für die Bewahrung von Demokratie und Frieden. “Anne Applebaum hilft der Welt zu verstehen, wie sie ist: gespalten mit einer sinkenden Zahl an Demokratien und einer wachsenden Zahl von Autokratien, sagte Karin Schmidt-Friderichs, die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.
Applebaum wurde 1964 in Washington D.C. als Kind jüdischer Eltern geboren. Sie studierte Russische Geschichte und Literatur an der Yale University sowie Internationale Beziehungen in London und Oxford. 1988 wurde Applebaum Auslandskorrespondentin in Polen für das britische Nachrichtenmagazin „The Economist“, dann arbeitete sie für mehrere britische Zeitungen. Bis 2019 schrieb sie als Kolumnistin für die „Washington Post“, seither vornehmlich für die US-amerikanische Zeitschrift „The Atlantic“.
2017 übernahm sie eine dauerhafte Professur an der London School of Economics and Political Science. Ihr dort entworfenes Programm „Arena“ über Desinformation und Propaganda verlegte sie 2019 an das Agora-Institut der Johns Hopkins University in Baltimore. Applebaum lebt seit 30 Jahren mit Unterbrechungen in Polen, verheiratet ist sie mit dem polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski. Für ihre Bücher „Der Gulag“ (2003), „Der Eiserne Vorhang“ (2012), „Roter Hunger“ (2019) und die „Die Verlockung des Autoritären“ (2021), in denen sie den Mechanismen autoritärer Machtsicherung nachspürt, wurde sie ausgezeichnet. Unter anderem erhielt sie den Pulitzer-Preis 2004 und den Carl-von-Ossietzky-Preis 2024.