“Schlaganfall, Uniklinik, Intensivstation” – die kurze WhatsApp ihres Sohnes am 7. März 2018 im Kurzurlaub wird Sabine Neumann nie mehr vergessen. Dabei möchte sie eigentlich genau das – und alles was danach geschah. Sechs Jahre ist es her, dass sich das Leben der 59-Jährigen von einen Tag auf den anderen komplett veränderte. Ihren Mann Heiko hatte damals der Schlag getroffen.
Die folgenden Wochen und Monate sind für die Bonnerin ein nicht enden wollender Alptraum. In den ersten sechs Wochen besucht sie ihren Mann jeden Tag – mal in der Schlaganfall-Spezialeinheit “Stroke Unit”, mal in der Intensivstation, dann wieder in der Neurologie und der Frühakutreha.
Immer dabei die quälende Frage: Wie geht es weiter? Und die Erkenntnis: “Er hatte nichts mehr mit dem gemein, wie ich ihn kannte”. Viele Wochen dauert es, bis Heiko außer Lebensgefahr ist. Durch die Kanüle in seiner Luftröhre kann er sich nicht artikulieren, aber wenigstens noch mit seiner rechten Hand schreiben – “ich will nach Hause!”.
Reha kostet viel Kraft und Nerven
Zu Ostern die niederschmetternde Mitteilung der Ärzte: “Ihr Mann wird ein schwerer Pflegefall bleiben”. In der Frühakutreha ist er wieder bei Bewusstsein, muss nach der mehrwöchigen Intubation wieder atmen und sprechen lernen. Um ihn ins Sitzen zu bringen, wird er mit dem Kran in den Rolli gehievt – “ich bekomme diese Bilder nicht aus dem Kopf”. Nach ein paar Wochen habe ihr Mann wieder den großen Zeh bewegen können, erinnert sich Sabine an einen kleinen großen Glücksmoment. Bei allen Einschränkungen ihres Mannes spürt sie dessen großen Kampfesgeist – “da war noch Leben drin”.
Sie selbst kostet diese Zeit viel Kraft und Nerven. Anträge müssen gestellt, Hilfsmittel wie Pflegebett und Rollstuhl für die Heimkehr organisiert, die Wohnung rollstuhlgerecht gestaltet werden. Mit den behandelnden Ärzten machen die Neumanns gemischte Erfahrungen. Da sind jene, die über viele Wochen um Heikos Leben kämpfen; aber es gibt auch unsensible Mediziner. Da ist der Neurologe, der beim Abschlussgespräch in der Reha sagt: “Wenn er Zuhause nicht klarkommt, dann muss er halt ins Altenheim”. Eine Option, die für Sabine nie eine Option sein wird – “dort wäre er verrottet”. Oder die Aussage eines Arztes: “An’s Laufen brauchen Sie nicht mehr zu denken…”
Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe bietet Hilfe für Betroffene
Solch entmutigende Kommunikation und fehlende weiterführende Informationen sind nicht das einzige, was Sabine Neumann damals belastet. Da ist auch das Gefühl, niemanden zu haben, mit dem sie über all ihre Belastungen und Probleme sprechen kann. Heute weiß sie, dass die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe den Betroffenen genau solche Hilfestellungen bietet. – Am 10. Mai, dem Tag gegen den Schlaganfall, rückt sie in diesem Jahr Angehörige wie Sabine Neumann in den Blick.
Ende August 2018 kommt Heiko wieder nach Hause, wird von Sanitätern im Rolli die 27 Stufen in den 1. Stock getragen. “Und nun?”, fragt sich Sabine, “er war gefangen in der Wohnung”. Aber er gibt nicht auf. Ihr gelingt es gute Ergo- und Physiotherapeuten zu finden, die auch Hausbesuche machen. “Mein Mann fing an zu trainieren.” Sie versucht, das neue Leben zu organisieren, kämpft und macht, lebt weiter monatelang über ihre eigenen Kräfte, hat keine Kraft mehr, als Bibliotheksbeamtin zu arbeiten. Dennoch hat sie noch das Gefühl, versagt zu haben und ihrer Aufgabe nicht gerecht zu werden.
Immerhin gibt es Lichtblicke. 2019 fängt sie an, die kleinen Erfolge ihres Mannes für Freunde und Bekannte auf YouTube zu dokumentieren. Inzwischen hat Heiko Neumann 700 Abonnenten mit über 100.000 Aufrufen. Er kann wieder kurze Wege laufen, ist zuletzt trotz Pflegestufe 3 ohne Hilfe seiner Frau mit der Bahn nach Duisburg gefahren.
Er ist ein Vorbild für Menschen mit ähnlichem Schicksal und ein Experte in eigener Sache. In Bonn hat der frühere Beamte eine Selbsthilfegruppe für Betroffene gegründet, hält Vorträge in Rehakliniken – “was wir damals nicht hatten”, sagt seine Frau. Inzwischen gibt es auch eine Zoom-Gruppe, über die sich die Betroffenen monatlich austauschen.
Schlaganfall-Helfer stehen Angehörigen zur Seite
Heiko hat sich zum Schlaganfall-Helfer ausbilden lassen. Er berät oft stundenlang am Telefon Angehörige, hilft ihnen, Gespräche im Krankenhaus richtig einzuordnen, um “die verbrannte Erde, die mancher Arzt hinterlässt, in blühendes Land zu verwandeln”, so der 56-Jährige. Solche Menschen brauche man, “um sich zu beruhigen, wieder klar denken zu können und um das Gefühl zu haben, nicht allein zu sein”, sagt seine Frau.
Seit 33 Jahren sind Sabine und Heiko Neumann zusammen, “in guten und in schlechten Zeiten”. Ein Schlaganfall sei eine sehr emotionale Sache, “er greift so tief rein”, sagt Sabine. Nicht zu unterschätzen ist für sie auch der “ganz extreme Rollentausch – man ist Pflegende und Patient”. Dennoch sagt die 59-Jährige: “Ich hatte keinen Zweifel, dass wir das irgendwie hinkriegen”. Heiko ergänzt: “Ich bin froh, dass ich so eine tolle Frau an meiner Seite habe”. Nach einem Schlaganfall nicht selbstverständlich, wie die Neumanns wissen. “Wir kennen auch andere, wo der Partner dann gegangen ist oder die Eltern nichts mehr mit ihren Kindern zu tun haben wollten.”