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Am Scheideweg

Die Katholische Kirche nach der Veröffentlichung des Gutachtens

Am Scheideweg

Nach dem Gutachten zu sexuellem Missbrauch im Bereich des Erzbistums München und Freisingund dem Outing von 125 queeren katholischen Mitarbeitenden sollen auf der Versammlung zumSynodalen Weg, die am 3. Februar beginnt, Reformen beschlossen werden. Doch ist das möglich?

Beharrungskräfte und Reformer ringen miteinander. Was muss sich verändern?

Von Esther Göbel

 

Es brodelt in der katholischen ­Kirche! Nach der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens in München in der vorletzten Woche, haben sich in der letzten Woche mit #OutInChurch 125 queere Menschen geoutet. Und in dieser Woche beginnt nun die dritte Vollversammlung des Synodalen Wegs, dem großen Reformprozess in der katholischen Kirche in Deutschland.

 

Es geht um viel: um Macht und Partizipation, um Diskriminierung, Geschlechtergerechtigkeit und überholte Sexualmoral und um das durch Missbrauch, Vertuschung und Verantwortungslosigkeit selbstverschuldet ruinierte Bild von Priester-, Bischofs- und inzwischen auch Papstamt.

 

Widersprüche aushalten

 

Es stehen nun erste Texte zur finalen Abstimmung an. Manchen wird zugestimmt werden, anderen vielleicht auch nicht. Misst sich ­daran der Erfolg? Zum einen Ja: Denn was schwarz auf weiß beschlossen ist, zwingt Verantwortliche, sich dazu zu verhalten. Aber zugleich auch Nein: Der Erfolg des Synodalen Wegs liegt darin, dass Themen auf den Tisch kommen, ehrlich gerungen wird und Diskrepanzen deutlich werden. Vielleicht ist es sogar besser, dass ein zugespitzter Text einmal keine Mehrheit findet, als dass ein Text zu sehr abgeschwächt wird, um die erforderliche Zustimmung zu finden. Dann liegt der Erfolg im Benennen der Diskrepanzen, im Streit, im Aushalten der Leere, in den Widersprüchen.

 

Keine Angst vor römischer Zurückweisung, keine Sorge vor Spaltung und keine Rücksichtnahme auf traditionell Denkende darf uns aufhalten, wenn es um die Korrektur von Leid erzeugenden Machtstrukturen, Reformen in der Sexualmoral und um die Beendigung der Diskriminierung in der Kirche geht. Viele kirchliche Lehraussagen sind immer noch vom Naturrecht geprägt, in Teilen diskriminierend, sexistisch und homophob. Das darf nicht so bleiben!

 

Wir sollten aber nicht nur Strukturen ändern, sondern uns auch immer wieder bewusst machen, was zwar nicht Forumsthema, aber immerhin Anlass des Synodalen Wegs war: der tausendfache Missbrauch an Schutzbefohlenen, der evangeliumsunwürdige Täterschutz und die vielfache Retraumatisierung von Opfern durch flächendeckende Verantwortungslosigkeit auf allen Leitungsebenen.

 

Gemeinsame Verantwortung anerkennen

 

Doch es ist nicht nur an Bischöfen und Vatikan, endlich zu handeln, sondern es ist auch an der Zeit für eine persönliche und gemeinschaftliche Auseinandersetzung aller Gläubigen mit dieser Verantwortung für eine Erneuerung der Kirche und ein Umdenken im Umgang mit Missbrauch aller Art. Das heißt nicht, die Schuld der Täter oder derjenigen zu vergemeinschaften, die Taten vertuscht oder Strafen vereitelt haben.

 

Es bedeutet aber, die systemische Verstrickung aller und eine ­gemeinsame Verantwortung ohne persönliche Schuld anzuerkennen. Jede:r Christ muss sich dem sicher auch schmerzhaften Prozess einer Bewusstseins- und Verhaltensänderung stellen, um glaubhaft und an Tat und Wort messbar auf der Seite der Opfer zu stehen.

Es ist an der Zeit zu handeln: Strukturen zu schaffen, die Missbrauch verhindern, Diskriminierung beenden und alle Gläubigen an Entscheidungen der Gemeinschaft beteiligen. Der Glaube an Gott und das Evangelium ist noch nicht verloren, der in diese Institution Kirche bei vielen schon. Ob Veränderung möglich ist, wird sich sehr bald zeigen müssen.

 

Esther Göbel ist katholische Theologin und Seelsorgerin im Bistum Berlin sowie Mitglied der Synodalversammlung.