Wer in Hamburg den Zollkanal überquert, um in die Speicherstadt zu gelangen, passiert zwei steinerne Denkmäler: eines für Christoph Kolumbus und eines für Vasco da Gama – es zeigt ihn mit entschlossenem, grimmigem Blick, in der Linken ein Schwert. Doch wer war der Portugiese da Gama, Zeitgenosse des ungleich bekannteren Kolumbus?
Berühmt ist er heute vor allem für den Seeweg nach Indien – ihm gelang damit das, was Kolumbus nicht schaffte: Vasco da Gamas Flotte lichtete im Juli 1497 in Lissabon die Anker und landete im Mai 1498 in Calicut (heute Kozhikode) in Indien. Er begründete so die Route, auf der bis zur Eröffnung des Suezkanals alle europäischen Schiffe nach Asien fuhren: um das Kap der Guten Hoffnung an Afrikas Südspitze. Vor 500 Jahren, am 24. Dezember 1524, starb Vasco da Gama im südindischen Kochi.
Seit Beginn des 15. Jahrhunderts strebte Portugal danach, das arabische Monopol im Handel mit indischen Gewürzen zu brechen. Die Portugiesen waren zu jener Zeit in Europa führend als Seefahrernation. Wirtschaftliche wie auch politische Interessen waren die Triebfeder: Es ging darum, neue Länder zu unterwerfen und auszubeuten und den Islam zu bekämpfen. So startete König Manuel I. 1497 eine Expedition nach Indien. Zum Oberbefehlshaber ernannte er den jungen Vasco da Gama, um 1469 geboren, der sich einen Ruf als fähiger Navigator erworben hatte.
Dass die Reise ein Erfolg wurde, war auch dem Mut des Kommandanten zu verdanken. Denn bis dahin fuhren die Schiffe fast nur in Sichtweite der Küsten. Niemand traute sich, unbekannte Ozeane zu durchqueren: Man fürchtete Stürme und Seeungeheuer als tödliche Gefahren. „Um gegenüber der See, dem Wetter, den Mannschaften, den Krankheiten, der Feindseligkeit der Afrikaner, Araber und Inder, dem tropischen Klima und politischen Intrigen bestehen zu können, bedurfte es neben navigatorischer Fertigkeit einer Mischung aus Diplomatie, Entschlossenheit, Schläue, Geistesgegenwart (…) und einer Hartnäckigkeit, die selbst in den hoffnungslosesten Situationen nicht zu erschüttern war“, schreibt der 2021 verstorbene Gernot Giertz, Herausgeber zeitgenössischer Reiseberichte von der Fahrt.
Als das Flaggschiff „São Gabriel“, vollbeladen mit kostbaren Gewürzen, im September 1499 wieder in Lissabon eintraf, wurde Vasco da Gama triumphal empfangen. Portugal konnte sich in der Folge zur Kolonialmacht entwickeln. Doch bei Indern und Afrikanern hatte er „Hass gegen alles Portugiesische gesät“, wie Giertz feststellt: durch sein stolzes, anmaßendes und skrupelloses Auftreten.
1502 stach er zu seiner zweiten Indienfahrt in See, diesmal mit 21 schwer bewaffneten Fahrzeugen. Portugals Stellung an der indischen Malabarküste wurde von Vasco da Gama ausgebaut und militärisch gestärkt.
Gernot Giertz: „Seine zweite Reise hinterließ eine breite Spur von nutzlos vergossenem Blut, fast unvorstellbarer Grausamkeit, Tod und Verderben“. Seitdem herrschten die portugiesischen Vizekönige in diesem Landstrich Indiens mit Raub und Mord und bereicherten sich durch Günstlingswirtschaft, Bestechung und Betrug. Die Kolonie verfiel.
König João III., Manuels Nachfolger, ernannte da Gama 1524 zum Vizekönig von Indien und entsandte ihn auf eine letzte Reise dorthin. Nachdem er eine „gnadenlose Säuberungswelle“ (Giertz) in Gang gesetzt und mit rigorosen Verordnungen und drakonischen Strafen gegen Korruption und Misswirtschaft vorgegangen war, starb da Gama drei Monate nach seiner Ankunft, wahrscheinlich an Malaria.
Wie ist aus heutiger Sicht der Blick auf Vasco da Gama? Im 19. Jahrhundert, der Hoch-Zeit des europäischen Kolonialismus, galt er – wie Kolumbus – als Pionier, dessen Entdeckung des Seewegs nach Indien für die Entwicklung der Menschheit von größter Tragweite war. Deshalb errichtete man Denkmäler für die Symbolgestalten der frühen Welteroberung. Heute werden sie gestürzt. In den USA, aber auch in Südamerika sind seit 2020 zahlreiche Kolumbus-Statuen vom Sockel gestoßen worden, weil sie aus Sicht der Kritiker Rassismus und Kolonialismus verherrlichen.
Für den Bielefelder Historiker Franz-Josef Arlinghaus besteht Vasco da Gama eigentlich aus drei Personen, auf die sich heute der Blick richtet: Zunächst die historische Figur, um 1500 unterwegs, um das arabische Handelsmonopol zu brechen; dann der „Entdecker“, den das 19. Jahrhundert aus ihm machte – in diese Zeit gehört auch das Denkmal in Hamburg – ; und schließlich der menschenverachtende Kolonialist, wie ihn heute viele sehen. Aus dieser Perspektive werde eher der Vasco da Gama des 19. Jahrhunderts angegriffen, kaum der des 15. Jahrhunderts. „Die postkoloniale Diskussion tut sich keinen Gefallen, wenn sie zwischen den Epochen nicht genug differenziert“, urteilt Arlinghaus, der Geschichte des Hoch- und Spätmittelalters lehrt.
Differenzierung bedeutet für den Historiker jedoch nicht, alles zu tolerieren. Für Vasco da Gama war die Folter ein selbstverständliches Herrschaftsmittel. „Wer foltert, hat unrecht“, sagt Arlinghaus. Von Denkmalstürzen hält er trotzdem nichts, „weil das einer nötigen permanenten Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus eher im Wege steht. Beigefügte Tafeln oder Installationen wären sinnvoller.“