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Allmachtsphantasien unterbinden

Fast 20 000 Unterschriften für Gottesbezug in Schleswig-Holsteinischer Verfassung erreicht. Inhaltliche Auseinandersetzung

„In Verantwortung vor Gott“ – im schleswig-holsteinischen Landtag fand sich im vergangenen Herbst keine Mehrheit, um diese Formel in die Landesverfassung aufzunehmen. Demnächst werden sich die 69 Abgeordneten des Kieler Parlaments erneut mit der Frage befassen müssen: Die Initiative „Für Gott in Schleswig-Holstein“ hat jetzt ihr Ziel erreicht. 20 000 Unterschriften braucht es, damit sich das Parlament erneut mit dem Thema befasst. Über 25 000 Menschen haben unterzeichnet.
Außerdem wird weiter debattiert. Auf einem Forum in Kiel vertrat der Völkerrechtler Matthias Hartwig, Jurist am Heidelberger Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, die These, dass Gott nicht nur in der Verfassung genannt werden dürfe, sondern höhere Werte ohnehin dort enthalten seien.
Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit: Diese Begriffe aus dem Kanon der Grundrechte lägen außerhalb des Zugriffs eines Parlaments, und sie hätten „inzwischen eine Rolle eingenommen, wie sie früher religiöse Bekenntnisse hatten, sie sind unantastbar“, so Hartwig in seinem Referat.
Diese Rolle sei unter anderem durch die Erfahrungen am Ende der Weimarer Republik entstanden, als sich das Parlament selbst auflöste – das Ende der Demokratie durch ein formal demokratisches Verfahren. Die junge Bundesrepublik gab sich daher eine Verfassung, in der die Verantwortung vor Gott genannt ist. Auch Landesverfassungen stünde das gut an, um dem Menschen seine Grenzen zu zeigen: „Wir brauchen Gott, um Allmachtsphantasien zu unterbinden.“

Am Ende 1,1 Millionen Stimmen notwendig

Wichtig sei dabei, dass es nicht um einen „inhaltlich gefüllten“ Gottesbegriff gehe, der christlich, jüdisch oder islamisch sei: „Das verträgt sich nicht mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit“, so Hartwig. Nicht alle der Gäste teilten seine Meinung: „Auch wer nicht an einen Gott glaubt, kennt Werte – und in einigen Bereichen sind die Werte der Aufklärung weiter als die der Kirche, etwa bei der Gleichstellung von Mann und Frau“, sagte ein Zuhörer.
Ein anderer wiederum nannte es einen „faulen Formelkompromiss“, unter dem Begriff „Gott“ alle Religionen fassen zu wollen: „Wenn es um Werte geht, müssen wir irgendwann schon sagen, welchen Gott wir meinen.“ Eine Zuhörerin spitzte zu: „Wenn Gott nur eine Chiffre für Werte ist, wozu müssen wir ihn dann nennen?“ Hartwig sprach dagegen: Das „Vier-Buchstaben-Wort“ sei eine prägnante, griffige Formel, mit der die Menschen mehr anfangen könnten als mit Umschreibungen.
Die Unterschriften sollen noch vor der Sommerpause übergeben werden. Das Parlament bleibt aber in seiner Entscheidung frei. Lehnt der Landtag die im März 2015 gestartete Volksinitiative ab, müssten 80 000 Unterschriften für ein Volksbegehren gesammelt werden. Kommt es dann zum Volksentscheid, müssten mindestens die Hälfte der Stimmberechtigten, das sind mehr als 1,1 Millionen Schleswig-Holsteiner, für das Anliegen stimmen. Angesichts sinkender Wahlbeteiligung dürfte das nicht einfach sein.
Ob eine Gottesformel in der Verfassung einen praktischen Wert hat, konnte auch Matthias Hartwig nicht beantworten. „Aber eine Verfassung ist keine Gebrauchsanweisung, sie soll nicht nur technisch sein.“ KNA