Heute melden sich fast doppelt so viele Menschen wegen psychischer Beschwerden krank wie vor zehn Jahren. Fachleute fordern einen anderen Umgang mit mentaler Gesundheit am Arbeitsplatz – und konkrete Maßnahmen.
Über die Hälfte ihrer Zeit verbringen Vollzeitbeschäftigte mit dem Job – daher braucht es dort laut Fachleuten mehr vorbeugende Angebote zur psychischen Gesundheit. Bestehende Angebote müssten bekannter und Arbeitgeber sensibilisiert werden, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Donnerstagabend in Berlin. Er äußerte sich zum Auftakt der “Woche der seelischen Gesundheit”, in deren Rahmen bis zum 20. Oktober bundesweit über 900 Veranstaltungen geplant sind.
Die Zahl der Krankheitstage wegen psychischer Probleme steige seit Jahren, ergänzte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Dies habe massive Produktionsausfälle zur Folge, vor allem aber eine große Belastung für die betroffenen Menschen. Es stehe außer Frage, dass es im Job durchaus “Belastungsspitzen” geben könne – daraus dürfe jedoch keine Überlastung werden.
Der Vorsitzende des Aktionsbündnisses Seelische Gesundheit, Arno Deister, mahnte, Stigmatisierung sei noch immer eine alltägliche Erfahrung für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Auch die Bundesärztekammer (BÄK) sieht Handlungsbedarf: Betroffene müssten besser unterstützt werden. Außerdem müsse die Vorbeugung verbessert werden. “Arbeitsmediziner und Betriebsärzte können dabei eine wichtige Rolle spielen”, erklärte der Co-Vorsitzende der BÄK-Arbeitsgruppe Psychiatrie, Psychosomatik, Psychotherapie, Gerald Quitterer. Die arbeitsrechtlich vorgeschriebene sogenannte Gefährdungsbeurteilung könne zudem Motivation und Leistungsfähigkeit steigern.
Aus Sicht der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung ist es wichtig, Belastungen am Arbeitsplatz frühzeitig zu erkennen. So sei ein Burnout oftmals Vorläufer einer behandlungsbedürftigen Depression, betonte der Vorsitzende der Vereinigung, Gebhard Hentschel. Besonderes Augenmerk sei in Branchen wie Altenpflege oder Kinderbetreuung gefragt. Dort seien die Belastungen auch durch Personalmangel besonders hoch.
Arbeit könne sowohl Risiko als auch Ressource sein, fügte Sozialmedizinerin Steffi Riedel-Heller hinzu. Bei der Gesundung von Menschen mit psychischen Erkrankungen werde sie vielfach unterschätzt. Die Wissenschaftlerin riet zum Blick auf andere Länder: So gebe es etwa in Norwegen die Möglichkeit von Teil-Krankschreibung bei psychischen Erkrankungen.