Wolfgang ist aufgeregt. „Brrrrrm, brrrrm“, macht er. Gleich wird er zum ersten Mal in seinem Leben auf ein Segelboot steigen und über den Aasee in Münster segeln. Gespannt blickt er auf den glitzernden See. Die Wellen schlagen an den Bootsanlegesteg. Wolfgang muss auf seine Schirmmütze aufpassen, dass der Wind sie ihm nicht vom Kopf reißt. „Echt windig, aber das ist ja gut beim Segeln“, sagt Steffen Bräutigam. Er ist Heilerziehungspfleger bei der Lebenshilfe in Münster und wird Wolfgang auf dem Segeltörn begleiten. Mit ihm sind noch drei Bewohner und zwei weitere Mitarbeiter der Lebenshilfe gekommen. Die anderen dürfen bei der zweiten Runde an Bord.
Verein betreibt zwei barrierefreie Segelboote
Das Segelschiff a.noah gehört dem Verein „Sail-Together“. Der Verein fördert Begegnung und Integration von Menschen mit und ohne Behinderung. Menschen aus der Evangelischen Jugend Dortmund, Lünen, Leverkusen und der schwedischen Kirchengemeinde in Avesta haben sich zu „Sail-Together“ zusammengeschlossen. Der Verein betreibt zwei barrierefreie Segelboote, deren Heimathafen der Phönixsee in Dortmund ist.
Die Evangelische Jugend von Westfalen hat in diesem Jahr das Projekt „grenzenlos segeln“ ins Leben gerufen. „Inklusion ist für uns kein neues Thema“, sagt Knut Grünheit, Geschäftsführer des Amtes für Jugendarbeit. „Das Projekt hier ist aber schon etwas Besonderes. Es gibt viele Menschen, die sonst nie die Möglichkeit hätten, mal zu segeln.“ Entweder weil sie es sich nicht leisten könnten, oder weil sie auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Die a.noah ist so gebaut, dass Rollstühle über eine Rampe auf das Boot geschoben werden können und genug Platz haben. Das Angebot ist für die Gruppen kostenlos.
Knut Grünheit will gleich selbst mit auf das Schiff. Acht Personen haben Platz, davon bis zu drei mit Rollstühlen. Jetzt werden die Schwimmwesten angezogen. Wolfgang lässt sich helfen. Er macht Fahrgeräusche. Es klingt ein bisschen wie ein altes Mofa. „Brrrrm. Nänänänänä. Brrrrm.“ An der Hand von Steffen Bräutigam betritt er das Boot und setzt sich hin. Aufmerksam verfolgt er, was um ihn herum geschieht. Er hat eine autistische Störung und lebt seit vielen Jahren in einem Haus der Lebenshilfe. „Alles Ungewohnte verunsichert ihn erst einmal“, sagt Steffen Bräutigam. Die beiden sitzen nnebeneinander und Wolfgang lässt Steffens Hand die ganze Bootsfahrt über nicht los. „Wir kennen uns seit acht Jahren“, sagt Steffen Bräutigam. „Da ist viel Vertrauen gewachsen.“
Das Schiff legt ab. Skipper und Bootsmann sind konzentriert bei der Sache. Mit an Bord ist außerdem noch Dieter Schönfelder vom Jugendreferat des Evangelischen Kirchenkreises Münster. Er ist zuständig für das Projekt auf dem Aasee. „Wir haben von dem Boot und der Idee erfahren und wollten das gerne auf dem Aasee anbieten“, erzählt er. „Die Unterstützung war grandios.“ Hilfe bekamen die Initiatoren von vielen Seiten: angefangen von der Stadt Münster über die Segelschule, den Landschaftsverband Westfalen-Lippe bis hin zu Lokalen am See und der Feuerwehr, die das Boot auf den See gehoben hat.
Ein kräftiger Windstoß ruckelt heftig am Segel. Seile flattern. „Oooh“, ruft Wolfgang. „Jetzt haben wir ordentlich Wind“, sagt Skipper Peter Muckelmann. Er und der Bootsmann haben ordentlich zu tun. „Fertigmachen zur Wende“, ordnet der Skipper an. „Über die Fock.“ Und schon gleitet das Boot in die andere Richtung. Wolfgang lacht und gluckst. Er scheint seinen Spaß zu haben.
Langsam geht die Fahrt zu Ende. Der andere Teil der Gruppe will auch drankommen.
Im nächsten Jahr wird das Projekt fortgesetzt
Wieder an Land macht sich auf Wolfgangs Gesicht ein entspanntes Lächeln breit. „Das war für ihn eine ganz neue Erfahrung, und ich habe den Eindruck, es hat ihm sehr gut gefallen“, sagt Steffen Bräutigam. „Wir würden so ein Angebot jederzeit wieder in Anspruch nehmen. Die Leute profitieren davon, mal neue Erfahrungen zu machen.“
Während sich die beiden einen Platz in der Sonne suchen und Getränke bestellen, geht die nächste Gruppe an Bord. Mühelos wird die Rollstuhlfahrerin auf das Boot geschoben. Und schon legt die a.noah wieder ab. Für Skipper Peter Muckelmann stehen anschließend noch zwei Runden auf dem Programm. Gut 300 Menschen hat er in den letzten Wochen über den Aasee geschippert.
Jetzt geht es für die a.noah erst mal wieder nach Dortmund. Aber im nächsten Jahr soll das Projekt weitergehen. „Wir hoffen auf den ein oder anderen Kirchenkreis, der sich das Boot für ein paar Wochen auf ein heimisches Gewässer holt“, sagt Knut Grünheit. Die ersten Gespräche laufen bereits.