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70 Jahre „Wort zum Sonntag“

Als geistliches Wort zur aktuellen Lage erreicht das „Wort zum Sonntag“ immer Samstagabend die Menschen im Wohnzimmer. Die Rundfunkbeauftragte der EKBO gratuliert zum 70-jährigen Jubiläum.

Im Jahr 1993 bekam das „Wort zum Sonntag“ ungewöhnlichen Besuch. Pfarrer Heiko Rohrbach brachte seine Hündin Jenny mit in die Sendung.
Im Jahr 1993 bekam das „Wort zum Sonntag“ ungewöhnlichen Besuch. Pfarrer Heiko Rohrbach brachte seine Hündin Jenny mit in die Sendung.epd / Gerhard Jost

1,2 Millionen Zuschauer:innen erreicht ein Wort zum Sonntag durchschnittlich. Den Namen der zweitältesten Sendung nach der Tagesschau kennt jeder – den Inhalt weniger, bestenfalls die alte Parodie von Otto Waalkes. Doch das wird dem Format nicht gerecht: Es ist ein Zeugnis unserer Geschichte. Nur selten zeig(t)en Menschen auf dem Bildschirm so viel Haltung wie in diesem Sendeformat: Sie stehen allein im Studio vor grellem Scheinwerferlicht und laufender Kamera mit nichts als sich und dem Wort. Was sie trägt, ist ihr Glaube, der wie im Falle folgenden Beitrags von Jörg Zink zutiefst evangelisch ist. Er sprach das Wort zum Sonntag am 29. Oktober 1977 wenige Tage nach der Ermordung des deutschen Arbeitsgeberpräsidenten Hans Martin Schleyer durch die RAF:

„In diesen Tagen ist etwas geschehen, was wir bisher für unmöglich gehalten hätten. Zum ersten Mal hat unser Staat von einem einzelnen, bestimmten Bürger das Opfer seines Lebens gefordert, indem er es bewusst und sehenden Auges riskiert hat … Dem christ­lichen Glauben ist … der Gedanke des Opfers durchaus vertraut. Sein Zeichen ist das Kreuz. Es sagt: Hier ist einer gestorben, bewusst und freiwillig. Und auf geheimnisvolle Weise wächst uns aus seinem Tod ein Leben zu. Freiheit und Gerechtigkeit. Das Opfer ist das Geheimnis des Lebens überhaupt … Bei uns gilt die kindliche Meinung, die Gemeinschaft habe dem einzelnen ein gesichertes Leben und immer steigenden Wohlstand zu bescheren, sie dürfe ihm aber nichts abverlangen. So haben wir eine Freiheit, die nichts kostet. Eine Gerechtigkeit, die keinen Verzicht verlangt. Ein Leben, indem jeder, so gut es geht, seinem Recht auf Glück und Erfolg nachläuft.“

Sprecherinnen und Sprecher erhielten Drohungen

Klare Worte, die heute noch treffen. Es fordert Mut, jenseits schützender Kirchenmauern so zu predigen und bringt mehr Spott und Hass als Ruhm. Mittlerweile gibt es ein Schutzkonzept für Sprechende, die Drohungen erhalten. Oft sind es Frauen, eine davon Mechthild Werner: Sie begann ihr Wort zum Sonntag am 19. Mai 2001 mit einer lebensgroßen Sexpuppe im Arm und den Worten: „Das ist Maria – offen für alles, für jeden zu gebrauchen.“ Fast 30 Jahre früher, am 16. März 1974, sprach die Berliner Politikerin Hanna-Renate Laurien ein energisches katholisches Wort, in dem sie gegen den §218 Position bezog.

Die erste „Ost-Frau“ in der Sendung

Das Wort zum Sonntag bietet christliche Sicht auf Fragen der Zeit. Und lebt von unterschied­lichen Sichtweisen. Mit Pfarrer Horst Greim aus Eisenach sprach in den 90er Jahren erstmals ein Pfarrer aus den neuen Bundesländern, die Magdeburgerin Gabriele Herbst war die erste Ost-Frau, es folgten viele weitere. 2025 startet mit Conrad Krannich ein neuer Sprecher aus dem Osten.

Wie kommt man zu der Ehre? Ganz demokratisch durch Casting und Wahl. Gewählt wird konfessionsintern von den ARD-Sender­beauftragten beider Kirchen. „Es ist eine unglaubliche Chance, mitten in ihrem Wohnzimmer Menschen zu erreichen, um über die Bewältigung des Lebens angesichts der christ­lichen Hoffnung nachzudenken“, sagt Stephan Born, Beauftragter der Evangelischen Kirche für das Wort zum Sonntag.

Keine Außendrehs mehr

Eins meiner ersten Worte zum Sonntag sprach ich übrigens in einem Misthaufen: drei Stunden Stehen in Kälte und Güllegeruch. Danach habe ich das Gleichnis vom verlorenen Sohn tatsächlich verstanden. Außendrehs sind längst den Sparmaßnahmen zum Opfer gefallen. Dass es den aktuellen geistlichen Kommentar zur Woche immer noch gibt, ist und bleibt ein hohes Gut, findet auch die Medienbeauftragte der EKD, Stefanie Schardien: „Das Wort zum Sonntag sieht sich in der Verantwortung, Deutungen für persönliche Erfahrungen und die Krisen dieser Welt anzubieten. Deutungen, die dem christlichen Glauben entspringen, aber darüber hinaus anschlussfähig sein sollen.“ Keine leichte Aufgabe, aber eine, die sich lohnt: Gerade in einer Welt der immer rasanteren Veränderungen ist es unsere Chance und unsere Pflicht als Kirche, Menschen Orientierung und Halt zu bieten.

Mit einer Festveranstaltung am 14. November in der St. Markus ­Kirche in München feiern die ­Deutsche ­Bischofskonferenz und die Evange­lische Kirche in Deutschland 70 Jahre „Wort zum Sonntag“. Bundes­präsident Frank-Walter Steinmeier wird ein Grußwort sprechen. Bis heute liefen über 3650 Folgen mit rund 320 katholischen und evangelischen Sprecherinnen und Sprechern.

Barbara Manterfeld-Wormit ist Rundfunkbeauftragte der Evange­lische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) und Senderbeauftragte für den RBB. Von 2004 bis 2008 war sie Sprecherin beim “Wort zum Sonntag”.