Der EGMR ist seit 25 Jahren ständiger Gerichtshof. Doch die Feierlaune ist gedämpft: Urteile werden nicht umgesetzt, Russland wurde aus dem Europarat ausgeschlossen. Und das Gericht ist chronisch unterfinanziert.
Für viele Europäer bedeutet das Straßburger Gericht die letzte Hoffnung: Opfer von Polizeigewalt, diskriminierte Minderheiten, homosexuelle Paare, die kein Kind adoptieren dürfen, oder Jugendliche, die mehr Klimaschutz einfordern. Gerade läuft ein spektakuläres Verfahren, bei dem junge Portugiesen die nationalen Regierungen verklagen: Das Leben der kommenden Generationen sei gefährdet, weil die Klimapolitik versage.
Jeder und jede kann sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wenden, wenn die Klage auf nationaler Ebene erfolglos blieb. Verhandelt werden existenzielle Grundrechte wie der Schutz des Lebens, Folterverbot, das Recht auf freie Meinungsäußerung, Religions- und Gewissensfreiheit oder das Recht auf faire Gerichtsverfahren.
“Die Urteile des Gerichtshofs haben viele Leben gerettet, tausende Leben verändert und dazu beigetragen, unsere Gesellschaften und Demokratien besser zu machen”, ist Gerichtspräsidentin Siofra O’Leary überzeugt. Mehr als eine Million Klagen sind in den vergangenen Jahrzehnten eingegangen. Die Richterinnen und Richter haben in mehreren zehntausend Fällen entschieden.
Doch in Feierlaune ist derzeit in Straßburg niemand. So wird es auch keinen Festakt geben, wenn am 1. November das 25-Jahr-Jubiläum als festinstallierter Gerichtshof ansteht – bis dahin war das 1959 gegründete Gericht immer nur zeitweise zusammengekommen.
Ein Grundproblem hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr verschärft. Der Gerichtshof hat keine Handhabe, die gefällten Urteile auch umzusetzen. Er ist auf die Kooperation der jeweiligen Staaten angewiesen.
Appelle des Europarats, der Träger des Gerichtshofs ist, muten fast hilflos an. Im Blick etwa auf Russland, Türkei, Aserbaidschan oder die Ukraine, die zwar vielfach wegen Menschenrechtsverstößen verurteilt wurden, aber Entscheidungen kaum oder nur sehr zögerlich umsetzten. Entsprechend landen auch immer wieder Fälle in Straßburg, die in ähnlicher Form eigentlich längst entschieden wurden. Schlicht weil die betreffenden Staaten die kritisierten Missstände nicht behoben haben.
Der russische Überfall auf die Ukraine brachte dann den endgültigen Bruch mit Moskau: Russland wurde aus dem Europarat ausgeschlossen. Russischen Bürgern ist damit der Gang zum Menschenrechtshof verwehrt, sofern nicht der Sachverhalt, um den es geht, vor dem Stichtag 16. September 2022 liegt. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats verurteilte den Angriffskrieg aufs Schärfste.
Dagegen hat die britische Regierung den nach dem Brexit laut angedachten Ausstieg aus dem Menschenrechts-System des Europarats nicht weiter verfolgt. Zumindest bislang. Die britische Innenministerin Suella Braverman will das Thema wieder auf die Agenda setzen.
Erschwert wird die Arbeit des Gerichtshofs, dem 46 Richterinnen und Richter – je einer je Europaratsmitgliedsstaat – angehören, auch durch die chronische Mittelknappheit. Der Jahresetat liegt bei etwa 75 Millionen Euro – was laut Gericht für die wachsende Zahl von Verfahren kaum ausreicht. Auch hier gelingt es seit Jahren nicht, sichere Grundlagen zu schaffen.