Predigttext
37 Aber am letzten, dem höchsten Tag des Festes trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! 38 Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen. 39 Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Geist war noch nicht da; denn Jesus war noch nicht verherrlicht.
Zwischenzeit. Eine Zeit zwischen gestern und morgen. Abschied und Neubeginn. Trauer und Hoffnung. Altes ist vergangen, Neues noch nicht geworden. Eine merkwürdige Zeit. Irgendwie schwebend, voller Fragen und Ungewissheiten, aber gerade deshalb auch offen für Veränderungen und Überraschungen.
Da ist die Abiturientin. Nach dem ganzen Lern-Stress will sie sich eine Auszeit gönnen und ihren Kindheitstraum verwirklichen: auf einer Farm in Lateinamerika verlassene Tierkinder aufpäppeln. Dort angekommen, ändert sie ihre Pläne und arbeitet in einem Hilfswerk mit Kindern aus sozial schwachen Familien. Sie bleibt viel länger als geplant. „Meine Tochter überrascht mich“, sagt ihr Vater. „Ich wusste gar nicht, was in ihr steckt.“
Als ob die Welt plötzlich stillsteht
Da ist der 39-Jährige, ein Bär von einem Mann. Früher hat er als Schreiner gearbeitet, dann kam der Motorradunfall. Wegen der gebrochenen Wirbel musste er seinen Beruf aufgeben. Nach vielen Schmerzen, Arbeitslosigkeit und Umschulung arbeitet er jetzt als Anleiter in einer Werkstatt für behinderte Menschen. „Die Zeit nach dem Unfall war echt hart“, sagt er heute. „Aber da, wo ich jetzt bin, bin ich richtig.“
Da ist die 73-Jährige. Vor einem knappen Jahr ist ihr Mann gestorben. Die Welt schien stillzustehen; nichts ergab mehr Sinn. Nur auf Drängen ihrer Kinder hat sie vor zwei Monaten eine Kur beantragt. Dort hat sie das erste Mal wieder getanzt. „Es wird nie wieder wie vorher“, sagt sie. „Aber es wird.“
Zwischenzeit – Zeiten, in denen das Leben innehält und uns aus der sicher geglaubten Routine schubst. So kann man auch die Zeit beschreiben, in der wir uns im Kirchenjahr befinden. Himmelfahrt ist gerade vorüber; bis Pfingsten dauert es noch. Für die Jüngerinnen und Jünger muss das eine sehr merkwürdige Zeit gewesen sein. Nach dem Schock um Jesu Tod hatten sie staunend seine Anwesenheit als Auferstandener erlebt. Dann war er vor ihren Augen verschwunden – gen Himmel gefahren. Jetzt sind sie völlig verunsichert. Zwar ist ihnen eine neue Zeit verheißen – die Zeit des Trösters, des Heiligen Geistes –, aber die ist noch nicht da. Sie fühlen sich allein gelassen, verunsichert, orientierungslos.
Ob sie sich damals gegenseitig an die Worte erinnert haben, die Jesus gesprochen hatte? „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke. Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen.“
Als Jesus das sagte, war er noch lebendig. Er stand im fröhlichen Trubel des Laubhüttenfestes und bezog das Ritual des Wasserschöpfens, das zur Liturgie des Festes gehörte, einfach auf sich. Lebendiges Wasser, das hatten schon die Propheten als Bild verwendet, wenn sie von der unerschöpflichen Lebenskraft sprachen, die Gott den Menschen verheißt. Jetzt nannte Jesus sich selbst die Quelle dieser Lebenskraft – und die, die an ihn glaubten und dadurch für andere zur Quelle lebendigen Wassers werden.
Ja, das hatte er gesagt, damals, in den guten Tagen. Aber wo war diese Quelle, diese Lebenskraft jetzt? Die Zeit schien stillzustehen. Was konnten die Jüngerinnen und Jünger überhaupt noch vom Leben erwarten?
Als dann Pfingsten kam, verstanden sie plötzlich: Kraft, Zuversicht, Freude – all das kam über sie, als würde die Wüste endlich mit einem lang ersehnten Regen getränkt und die fast schon vertrockneten Blumen mit neuem Saft gefüllt und aufgerichtet. Die Zwischenzeit war vorbei. Jetzt war Zeit für Neues.