Links steht die junge, schöne Königin. In der einen Hand hält sie die Herrschaftsfahne, in der anderen den Becher mit dem Blut Christi. Rechts daneben eine ältere Frau, die Mundwinkel herabgezogen, ihr Kopf ist als Zeichen ihrer Blindheit mit einem Schleier verhüllt; in der linken Hand die zerbrochene, ehemals wehrhafte Lanze, in der rechten den Schriftzug aus dem Johannes-Evangelium: „Wir haben ein Gesetz und nach dem Gesetz soll er sterben.“ Ecclesia die linke, Synagoga die rechte. Feindliche Schwestern. In der darstellenden Kunst symbolisieren sie seit über tausend Jahren die Geschichte von Christentum und Judentum, reich an Entfremdung, Ressentiments, Ausgrenzungen und Zerstörung.
Auch sozialgeschichtlich wertvolle Zeugnisse
Die beiden allegorischen Frauengestalten haben im Lauf der Jahrhunderte zahlreiche Verbreitung gefunden. Im Bamberger Dom und dem Freiburger Münster, in der Kathedrale von Bourges und in Notre-Dame – um nur einige wenige Gotteshäuser zu nennen. Auf Buchdeckeln und liturgischen Handschriften sind sie zu finden, genau wie in Historienbibeln und Weltchroniken.
Die Dortmunder Stadtkirche St. Petri zeigt jetzt in einer Ausstellung auf 70 Bild- und Texttafeln Beispiele aus der kirchlichen Monumentalplastik und der sakralen Kleinkunst. Insgesamt 50 Exponate präsentiert die Schau, gegliedert in die unterschiedlichen (verleumderischen) Darstellungsarten der Synagoga. Der Saarbrückener Professor Herbert Jochum hat sie in jahrelanger Detailarbeit zusammengestellt und geordnet.
„Eigentlich bin ich Theologe und kein Ausstellungsmacher“, erzählt er. Doch seit seiner Studienzeit haben ihn die Beziehungen zwischen Christentum und Judentum nicht losgelassen. 1980 war die rheinische Synode mit ihrem Beschluss „Zur Erneuerung des Verhältnisses von Juden und Christen“ für ihn der Startschuss, um – zum größten Teil unbekannte – Bilder zu sammeln und zusammenzustellen, die dieses Verhältnis illustrieren.
Premiere der daraus gewachsenen Ausstellung war 1993 in der Alten Synagoge Essen. Mittlerweile haben über Deutschlands Grenzen hinaus mehrere zehntausend Besucherinnen und Besucher die Ausstellung gesehen. Nach Dortmund geholt haben sie jetzt die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und die evangelische Stadtkirche St. Petri zusammen mit der katholischen Stadtkirche. Die Ausstellung, und das macht sie einzigartig, zeigt diese Zeugnisse, die nicht nur von kultur- und religionsgeschichtlichem, sondern auch von sozialgeschichtlichem Wert sind.
Als antijüdisches Kampagnenmotiv genutzt
In der Literatur tauchen Ecclesia und Synagoga bereits im 4. und 5. Jahrhundert auf, seit Mitte des 9. Jahrhunderts finden sie Eingang in die bildende Kunst. Das ist kein Zufall, begann damals doch ein erbitterter Streit zwischen Kirche und fränkischem Hof um die Durchsetzung beziehungsweise Verhinderung antijüdischen Rechts. „Diese religionspolitische Situation wurde die Geburtsstunde des ikonographischen Motivs der Ecclesia und Snynagoga“, erläutert Professor Jochum. „Eine große Kampagne setzt nun ein, die darauf abzielte, auch die nicht der Schrift Mächtigen durch die Freude an Bild und Allegorie zu erziehen und von der Rechtmäßigkeit des kirchlichen Anspruchs zu überzeugen.“
Statten die ersten Abbildungen die Synagoga noch ohne negative Attribute aus, so bahnt sich im Lauf der Zeit langsam eine Entfremdung beider Gestalten an. „Als die Feindseligkeiten gegen das Judentum im Verlauf der Kreuzzüge offen zum Ausbruch kamen, steigerte sich in gleichem Maße die Diffamierung in der Darstellung der Synagoga.“ Höhepunkt der judenfeindlichen Darstellung sind Abbildungen, die das von Gott selbst mit dem Kruzifix durchbohrte Haupt der Synagoga zeigen.
Die Ausstellung ist nicht nur eine historische Betrachtung; ihre Botschaft ist nicht rückwärtsgewandt. Denn die Geschichte von Ecclesia und Synagoga, so Jochum, „zeigt die Geschichte der Ausgrenzung einer gesellschaftlichen Minderheit, zeigt die letztlich tödliche Wirkung christlicher Sprach- und Bildsymbole, zeigt die gefährlichen und schließlich zerstörerischen Mechanismen der Macht“.
Gerade mit Blick auf 500 Jahre Reformation wollen die Veranstalter auf die verhängnisvollen Konsequenzen dieser judenfeindlichen Ikonographie hinweisen. In ihrer Einladung betonen sie deshalb einen kritischen Aspekt des Reformationsjubiläums: „Blickt man auf die Aussagen Martin Luthers über ,die Juden‘, gibt es in dieser Hinsicht nichts zu feiern.“
Die Ausstellung „Ecclesia und Synagoga“ wird am 5. März um 11.30 Uhr in der Dortmunder Stadtkirche St. Petri (Westenhellweg, gegenüber dem Hauptbahnhof) eröffnet. Beteiligte sind Stadtkirchenpfarrerin Almut Begemann, Georg Borgschulte von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und Ulf Schlüter, Superintendent des Kirchenkreises. Professor Herbert Jochum führt in die Ausstellung ein. Für die musikalische Begleitung sorgt Ludwig Kaiser (Orgel). Die Schau ist bis zum 5. April zu sehen. Öffnungszeiten: dienstags bis freitags 11-17 Uhr, donnerstags 11-19 Uhr, samstags 10-16 Uhr. Begleitprogramm unter http://stpetrido.de/cms/images/_pdf/Plakatfolder_korr_26-1_2.pdf im Internet.