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Zerbröselnde Pressefreiheit: Zeit für einen Weckruf

Die Washington Post galt mal als Leuchtturm des Journalismus. Eigentümer Jeff Bezos hat daraus eine Marionette gemacht. Nicht nur deshalb ist die Pressefreiheit bedroht. Ein Kommentar.

Die Washington Post galt mal als Leuchtturm des Journalismus
Die Washington Post galt mal als Leuchtturm des JournalismusImago / Schöning

Es ist Zeit für einen Weckruf. Still und fast unbemerkt zerbröselt eine Säule von Demokratie und Rechtsstaat: die Pressefreiheit. Jahrzehntelang sorgte man sich, dass diese Grundlage der freiheitlichen Gesellschaft in Diktaturen bedroht wäre. Nun zeigen der Fall der Washington Post und eine Hetzkampagne in Berlin: Auch in der sogenannten freien Welt ist unabhängiger, verantwortungsvoller Journalismus keine Selbstverständlichkeit. Anlass, noch einmal scharf nachzudenken. Auch und gerade für die, die meinen, sie hätten ja gar kein Problem mit der Pressefreiheit. Das gilt auch für die Kirchen.

In den USA hat es die Washington Post erwischt. Die Zeitung galt seit Jahrzehnten als Leuchtturm, als Vorbild: So muss Journalismus aussehen – unabhängig, kritisch, ohne Denkverbote. Aber aus dem Leuchtturm ist eine Marionette geworden. Eigentümer Jeff Bezos, zweitreichster Mensch der Erde, schreibt der Redaktion vor, welche Meinungen vorkommen dürfen.

Pressefreiheit auch in Deutschland bedroht

In Berlin liegt der Fall anders. Da wird Nicholas Potter von einem Mob bedroht. Der Journalist wird angefeindet, weil er in Berichten über Rechtsextremismus und Antisemitismus angeblich zu israelfreundlich schreibe. Die Hetze kommt auch aus der linken Szene, wo sich große Teile auf der Seite der Palästinenserinnen und Palästinenser sehen.

So unterschiedlich die Fälle sind, sie zeigen, wo der Kern des Problems liegt. Ob Mob oder Milliardär: Beide wollen allein das zulassen, was SIE für RICHTIG halten. Alles andere soll schweigen. Denn Menschen neigen nun mal dazu: Das, was sie erkannt haben, sehen sie als richtig an. Abweichende Meinungen sind dann: nicht richtig, falsch oder sogar gefährlich.

Demokratie kostet Geld – und Nerven

Deshalb Obacht. Wer nur weitergibt, was er oder sie für wahr und richtig hält, betreibt Öffentlichkeitsarbeit („PR“) – die hat ihre Berechtigung, auch in der Kirche –, oder im schlimmsten Fall Zensur. Aber der Auftrag von Journalismus ist ein anderer: den Leserinnen und Lesern nicht nur Fakten bringen, sondern auch vielfältige, unterschiedliche Meinungen vorstellen. So können sich Bürgerinnen und Bürger eine eigene Meinung bilden. Eine EIGENE Meinung. Und wenn die anders ist als meine, muss ich das ertragen.

Das kann wehtun. Doch das muss eine Gesellschaft aushalten. Demokratie gibt es nicht umsonst. Sie kostet Geld – und Nerven. Das gilt besonders für die Pressefreiheit. Wenn Menschen nicht nur schlucken, was ihnen vorgesetzt wird, sondern sich eine eigene Meinung bilden sollen – dann braucht es unabhängigen Journalismus.