Im Jahr 2010 wird der damals 17-jährige Isländer Sigurdur Thordarson Mitarbeiter bei Wikileaks. Im selben Jahr löste die Enthüllungsplattform mit der Veröffentlichung des Videos “Collateral Murder” ein publizistisches Erdbeben aus, das die öffentliche Wahrnehmung des Irakkriegs und die Rolle von Whistleblowern maßgeblich veränderte.
Der Aktivist und Journalist Julian Assange gerät daraufhin massiv unter Druck – unter anderem deswegen, weil Thordarson ihn mit mutmaßlich falschen Anschuldigungen ans FBI verrät. Es kommt zur Schlammschlacht. Zeitungsberichte spielen Thordarsons Beteiligung am Kernprojekt der Enthüllungsplattform herunter. Er sei ein “Lügner, Pädophiler und Krimineller”, der mit der eigentlichen Mission von WikiLeaks nichts zu tun habe und trotz seines Spitznamens “Siggi the Hacker” nichts von Computern verstünde. In seiner Langzeitbeobachtung, für die er Thordarson über einen Zeitraum von fast zehn Jahren mit der Kamera begleitete, zeichnet der Däne Ole Bendtzen ein etwas anderes Bild des abgestürzten Überfliegers, das auch die Perspektive auf WikiLeaks und Julian Assange etwas zurechtrückt.
Sigurdur Thordarson und seine Mutter kommen zu Wort
Im Film kommt neben Sigurdur Thordarson selbst auch dessen Mutter Ragnheidur zu Wort, die eine andere Geschichte erzählt. Schon mit neun Jahren habe ihr Sohn den Schulcomputer gehackt und die Noten anderer Schüler, die er nicht mochte, verändert. Der Zufall wollte es, dass der junge Computernerd im Flugzeug neben einem Geschäftsmann saß, der an seinem Laptop verzweifelte. Als Siggi ihm mit ein paar Handgriffen helfen konnte, erhielt er seinen ersten Job bei der Investmentgesellschaft Milestone, die im Zuge der globalen Finanzkrise von 2008 auch am Zusammenbruch des isländischen Bankensystems beteiligt war.

Dabei bekam Thordarson mit, dass die Firma auch Dreck am Stecken hatte. Als er kompromittierende Informationen aus den Datenbanken von Milestone geleakt hatte – hierfür wurde er später auch verhaftet – machte WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson den jungen Hacker mit Julian Assange bekannt. Thordarsons Mutter ist dieser Kontakt ihres Sohnes aber nicht geheuer. Als sie erfährt, dass Siggi, gerade mal 18, im Auftrag der WikiLeaks-Plattform um die Welt reisen soll, um geleakte Daten an Journalisten zu vermitteln, versucht sie ihren Sohn davon abzubringen. Doch vergeblich: Mit einem Leibwächter, der im Film ebenfalls ausführlich zu Wort kommt, und einem Teddybären im Gepäck macht Siggi sich auf den Weg.
Film beleuchtet dunkle Seite des Sigurdur Thordarson
Der Film beleuchtet auch die dunkle Seite des Sigurdur Thordarson. Nicht zufällig wird der Hacker mehrfach im Gefängnis interviewt, wo er Haftstrafen wegen Sexualverbrechen absitzen musste. Was genau hat er eigentlich verbrochen? Die in einschlägigen Presseberichten meist nur pauschal beantwortete Frage wird in der Dokumentation differenziert ausgebreitet. Indem Siggi in Internetforen von sich das Bild eines reichen Jet-Set-Playboys fingierte, köderte er junge Männer. Als Gegenleistung für die Teilnahme an bizarren Sexualpraktiken würde er sie reichlich entlohnen.

Thordarsons Betrugsmasche basierte auf der geschickt eingefädelten Vorspiegelung falscher Tatsachen: Kann man solch einem zwielichtigen Blender vertrauen, der mit zahlreichen Details ausführlich darlegt, wie Julian Assange nach der Veröffentlichung des “Collateral Murder”-Videos “paranoid” geworden sei? Angeblich ließ er die Computer aller-Mitarbeiter von Thordarson bei WikiLeaks heimlich ausspionieren. Auch ihr Gepäck sei durchsucht worden.
Macht Wikileaks nicht “dasselbe wie die Leute, die sie selbst anprangern?”
Nachdem der Hacker die Seiten gewechselt hatte, wurde der isländische Journalist Kristjon Kormakur engagiert, der in Presseberichten das heute geläufige Bild von Thordarson mit prägte. Vor der Kamera betont er nun, er sei von WikiLeaks beauftragt worden, um “Schmutz über Siggi zu finden”.
Macht also, fragt Ole Bendtzen, WikiLeaks nicht “dasselbe wie die Leute, die sie selbst anprangern?” Das ist die Grundfrage, die dieser Film aufwirft. Leicht ist sie nicht zu beantworten. Assange selbst nahm zu den Vorwürfen, er habe WikiLeaks-Mitarbeiter überwachen lassen, keine Stellung. Der WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson gibt zwar zu, Kristjon Kormakur beauftragt zu haben. Doch die Unterstellung, WikiLeaks habe jemanden angeheuert, um Schmutz gegen Thordarson auszugraben, “grenzt an Lächerlichkeit angesichts seiner gerichtlich attestierten Soziopathie und seines Strafregisters als Betrüger und Sexualstraftäter”, so Hrafnsson.
Diese schier unübersichtliche Gemengelage aus Sex, Lügen und (Murder-)Video – sowie Thordarsons tatsächlicher Beteiligung an den Aktivitäten von WikiLeaks – dividiert der Film akribisch auseinander. Ole Bendtzen zeichnet dabei das Bild eines beinahe bemitleidenswerten Außenseiters, der in vielerlei Hinsicht sicherlich ein notorischer Schwindler und Betrüger ist. Manche seiner Darlegungen erscheinen jedoch glaubhaft. Doch das Bild von WikiLeaks als moralische Instanz bekommt dabei schon einige Risse.