Die Kleinanzeigen gleichen sich: Oft suchen Menschen jemanden, der ein paar Besorgungen für ihre alte Mutter oder ihren Vater macht, oder der ihnen ein bisschen Gesellschaft leistet. Manchmal benötigen Familien einen Betreuer, der sich stundenweise um die Kinder kümmert. Auch Helfer für die Tierpflege, den Garten oder Instandsetzungen im Haushalt werden gesucht. Was alle, die eine solche Anzeige schalten, gemein haben: Sie zahlen nicht oder nur teilweise mit Geld – stattdessen gibt es Wohnraum.
Für die Kinderbetreuung jemand aus der Region
Und es gibt ein Portal im Internet (www.mitwohnen.org), auf dem Menschen andere Menschen für genau das suchen. Es ist seit rund einem Dreivierteljahr online und steht mit seinem Konzept immer noch relativ alleine da. Denn auch, wenn die Idee „Wohnen für Arbeiten“ ungefähr so lange existieren dürfte, wie Menschen sesshaft sind, hat sie bislang erstaunlicherweise einen großen Bogen um das Internet gemacht.
„Junge Leute, die nicht so gut bei Kasse sind, haben so die Möglichkeit, preiswert zu wohnen. Und das Kellnern in der Kneipe können sie sich auch sparen“, sagt Georg Beckmann vom Freiburger Verlag Interconnections, der das Portal betreibt.
Die Regeln beim Mitwohnportal sind einfach: Wer im deutschen Sprachraum eine Wohnung oder eine Hilfskraft sucht, kann kostenlos inserieren – will man die Kontaktdaten anderer Annoncen einsehen, kostet das 11,90 Euro für drei Monate. Rund 5000 angemeldete Nutzer hat das Portal eigenen Angaben zufolge derzeit. Das ist überschaubar, aber für den Start ganz ordentlich. In einigen der Anzeigen wird Wohnraum für vergleichsweise wenig Miete geboten, andere Anzeigenkunden bezahlen ihre Helfer sogar – verlangen aber wesentlich mehr Einsatz.
Die Idee kam den Machern, weil sie im Verlagsprogramm ein paar Ratgeber über Au-Pair-Reisen haben. „Das ist in den letzten Jahren immer kritischer geworden. Der bürokratische Aufwand hat zugenommen, und es gibt zu viele Enttäuschungen“, sagt Beckmann. Anders sei das mit Kinderbetreuung von Menschen aus der Region. „Es liegt viel näher, jemanden zu suchen, der sich in einem Land schon auskennt. Und warum sollte man das nicht ausweiten? Es werden ebenso Leute gesucht, die alte Menschen betreuen oder die Hecke schneiden.“
Eigentlich ist das Teilen ein Stück Internetkultur – man nennt es „Sharing Economy“: Es gibt Portale, über die Menschen gemeinsam ein Auto nutzen oder Werkzeug. Fährt man übers Wochenende weg und hat noch verderbliche Lebensmittel, kann man diese über Seiten wie food-
sharing.de verschenken. Wer lieber mit anderen Menschen isst, kann sich über Seiten wie cookasa.com Gesellschaft ins Haus holen.
Nur beim Mitwohnen sieht es erstaunlich dünn aus. Zwar gibt es große Couchsurfing-Portale wie airbnb.com, aber diese wenden sich vornehmlich an Touristen, die statt in einem Hotel oder einer Ferienwohnung bei Privatleuten unterkommen wollen – und das meist nur für ein paar Tage. Das Prinzip „Arbeit statt Geld“ spielt dort keine Rolle. Woran das liegt, ist nicht ersichtlich. Das Potenzial sollte vorhanden sein: Prinzipiell seien neun von zehn Deutschen bereit, Dinge zu verleihen, lautet das Ergebnis einer Umfrage des Verbraucherzentralen Bundesverbandes (vzbv) aus dem vergangenen Jahr. „Die Sharing Economy bietet neue Möglichkeiten für Verbraucher“, sagte Vorstand Klaus Müller damals in Berlin.