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Wird schon gutgehen…

Vertrauen ist die Grundlage jedes Zusammenlebens. Aber es ist auch ein Wagnis und eine tägliche Gratwanderung – mit großen Chancen. Denn Vertrauen lässt sich auch einüben.

Bei akrobatischen Kunststücken mit einem anderen Menschen braucht es sehr viel Vertrauen.
Bei akrobatischen Kunststücken mit einem anderen Menschen braucht es sehr viel Vertrauen.TSEW

„Wissen Sie denn meine PIN immer noch nicht auswendig?“ Wenn die alte Dame im Hofladen ihre Erdbeeren oder ihre Kartoffeln bezahlt, gibt sie ihre EC-Karte der Verkäuferin und nennt dabei auch gleich ihre Geheimzahl.

Ist das nur naiv? Oder sogar richtig dumm? Kann sein. Vielleicht ist es aber einfach nur ein Zeichen von echtem zwischenmenschlichem Vertrauen.

Dass aber über so eine Frage schon mal Streit ausbrechen kann, liegt auf der Hand. Denn dazu gibt es mindestens zwei Meinungen. Auf der einen Seite sind die, die im Mitmenschen zumeist erst einmal das Gute sehen und Verständnis haben für die alte Dame, die seit Jahren in dem Hofladen einkauft und (sicher zu Recht) keine Sorge haben muss, dass die Kenntnis der PIN-Nummer missbraucht wird. Auf der anderen Seite stehen die anderen – die, die stets in Sorge sind, über den Tisch gezogen zu werden. Die am Ende lieber positiv überrascht als enttäuscht werden.

Vertrauen ist auch eine Frage der Erziehung

Zu welcher Gruppe man gehört, ist vermutlich eine Frage der Persönlichkeit. Und sicher eine Frage eigener Erfahrungen. Dass es außerdem eine Frage der Erziehung ist, hat eine Untersuchung der Universität Bielefeld kürzlich bestätigt. Danach überträgt sich ein geringes Vertrauen von Eltern in ihr Umfeld auf ihre Kinder. In Zahlen heißt das: Gut 43 Prozent der befragten Eltern meinten, dass man im Umgang mit anderen nicht vorsichtig genug sein könne. Unter den Kindern dieser eher kritischen Eltern zeigten wiederum mit 57 Prozent deutlich mehr als die Hälfte eine hohe Anfälligkeit dafür, wenig in andere Menschen und Institutionen zu vertrauen.

Klar: Nicht zu vertrauensvoll gegenüber anderen zu sein und Absichten zu hinterfragen, ist in vielen Situationen ein sehr nützliches und sinnvolles Verhalten, wie auch der Studienleiter Holger Ziegler zu Recht meint. Das gilt für Eltern, die ihre Kinder schützen wollen, aber nicht nur für sie. Denn tatsächlich ist im praktischen Leben eine gewisse Skepsis oftmals angebracht. Zum Beispiel, wenn ein Anlageberater in einer Niedrigzinsphase zehn Prozent Zinsen anbietet. Oder wenn jemand anruft und vorgibt, das Enkelkind habe einen Unfall verursacht und könne nur mit einer Kaution aus der Haft entlassen werden. Vor Neppern, Schleppern, Bauernfängern ist leider niemand sicher.

Religionen lehren Vertrauen in höhere Mächte

Aber kann das heißen, nur mit Misstrauen und Angst durch die Welt zu gehen? Jedem Mitmenschen etwas Böses zu unterstellen? Was ist das für ein Leben, wenn ich hinter jeder Hausecke den Räuber vermute?

Vertrauen in die Welt, in das Leben sieht anders aus. Nicht nur der christliche Glaube, alle Religionen lehren Vertrauen in Gott oder andere höhere Mächte. Zu glauben heißt doch bei Lichte betrachtet nichts anderes als zu vertrauen. Die Bibel kennt viele Geschichten davon. Oft wird das Vertrauen belohnt, manchmal aber auch enttäuscht.

Und dann gibt es da noch so etwas wie Urvertrauen. Wer damit gesegnet ist, wird vermutlich nicht nur leichter Gottvertrauen entwickeln, sondern auch Vertrauen in die Mitmenschen. Und eine solche Haltung brauchen wir – nicht nur, aber gerade auch angesichts zunehmenden Vertrauensverlustes in die Institutionen, die Politik, die Medien.

Vertrauen ist die Grundlage menschlichen Zusammenlebens

Vertrauen ist die Grundlage jedes Zusammenlebens, in der Familie, im Kindergarten, in der Schule, am Arbeitsplatz, in der Stadt, in einem Land. Nach der Studie ist einmal mehr klar: Auch Eltern können (und sollten!) ihren Beitrag dazu leisten. Was sie vorleben, in welchem Geist sie ihre Kinder erziehen, wird mitbestimmen über die Zukunft einer Gesellschaft. Das gute Vorbild zählt.

Vertrauensvoll zu leben, ist ein Wagnis und eine tägliche Gratwanderung mit Risiken und Nebenwirklungen. Aber es birgt auch die Chance auf ein gutes Miteinander. Man muss ja nicht jedem seine EC-Karte in die Hand drücken.