Der Sprecher der katholischen Reformbewegung „Wir sind Kirche“, Christian Weisner, würdigt die vor 25 Jahren verabschiedete Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre zwischen Lutheranern und Vatikan grundsätzlich als „großen Schritt“. Aber wegen unterschiedlicher Amtsverständnisse seien die Kirchen „nicht in der Lage, die Ökumene auch weiterzuführen“, sagte Weisner dem Evangelischen Pressedienst. Er hoffe auf eine ökumenische Versöhnungsgeste seitens des Vatikans.
Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre sei damals mit großen Hoffnungen verbunden gewesen, sagte Weisner: „Die konkreten Hoffnungen hier in Deutschland richteten sich auf den ersten Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin.“ Dieser sei als Schritt hin auf eine Gemeinschaft von Eucharistie und Abendmahl gedeutet worden. „Wir wissen dann alle, dass das nicht so gekommen ist“, räumte er ein. Die Erwartungen auf mehr Ökumene seien auch auf dem zweiten Ökumenischen Kirchentag 2010 in München „heruntergedimmt“ worden.
Die aus der Bibel abgeleitete Rechtfertigungslehre behandelt die zentrale Frage, wie der Mensch vor Gott gerecht wird. Der Streit um deren Auslegung führte am Ende des Mittelalters zur Spaltung der europäischen Christenheit. Dieser Kernpunkt des Glaubens trennte Katholiken und Protestanten fast 500 Jahre lang.
Am 31. Oktober 1999 wurde dieser theologische Konflikt in Augsburg beigelegt: Vertreter des Vatikans und des Lutherischen Weltbunds unterzeichneten die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“. Dieses Dokument bestätigt, dass beide Kirchen in dieser fundamentalen Glaubensfrage nun grundsätzlich übereinstimmen. Das sei ein Meilenstein gewesen, indem man darin die Gemeinsamkeiten und nicht das Trennende hervorgehoben hat. Weisner: „Das Entscheidende ist ja: Können wir Christinnen und Christen, die wir uns alle auf denselben Jesus von Nazareth berufen, bei aller Unterschiedlichkeit wieder glaubwürdig zusammenkommen?“
Das Vatikan-Papier „Dominus Iesus“ aus dem Jahr 2000, in dem sich Rom von den evangelischen Kirchen klar abgegrenzt, müsse „revidiert werden“, sagte Weisner. Das Dokument hatte für anhaltende Spannungen zwischen Protestanten und Katholiken gesorgt. Darin wird die römisch-katholische Kirche als die einzig wahre Kirche Christi bezeichnet. Die römische Glaubenskongregation hatte 2007 diese Aussagen bekräftigt und den evangelischen Kirchen Theologen zufolge die Anerkennung als „Kirchen im eigentlichen Sinn“ erneut verweigert. Das müsse von Rom berichtigt werden, unterstrich Weisner.
Das „christliche Glaubensgut“ in der Gesellschaft sei weiterhin vorhanden und im Sozialstaat noch in vielerlei Hinsicht zu finden, so Weisner: „Aber beide Kirchen müssen sich sehr, sehr anstrengen, dass sie den Kontakt zu den Menschen nicht verlieren und relevant bleiben. Das können sie nur, wenn sie wirklich ihre Aufgaben erfüllen, wenn sie eben nicht nur ein Kirchturmdenken pflegen.“ Es gebe zurzeit „eine große Verunsicherung im politischen, aber auch im religiösen Leben“, sagte Weisner. Die große Frage sei, ob die Religionen den Menschen Hoffnung geben können. „Sind die Religionen noch relevant? Oder sind sie Teil des Problems?“ (00/3039/13.10.2024)