Artikel teilen:

“Wir können nicht im akademischen Viertel bleiben”

Mathias Rösch leitet das Schulmuseum der Universität Erlangen-Nürnberg und der Stadt Nürnberg. Ihm ist nicht nur wichtig, Schulgeschichte auszustellen, sondern auch die aktive Arbeit mit Schülerinnen und Schülern zu gestalten. Dabei setzt er sich besonders für diejenigen ein, die nicht die besten Startvoraussetzungen haben, erzählt er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

epd: Herr Rösch, bis zum Ende des Schuljahres läuft das Projekt „Gemeinsam“ des Schulmuseums. Dabei sollen Mittelschülerinnen und -schüler über das Thema Klimawandel für Wissenschaft begeistert werden. Wie kam es zu dem Projekt?

Mathias Rösch: Das hatte einen sehr langen Vorlauf. Wir waren im Schulmuseum über Workshops immer wieder in Kontakt mit Mittelschülern. Da haben wir gemerkt, wenn wir mit ihnen in einer geeigneten Form sprechen, dass sie auch ein starkes Interesse an Wissenschaft haben. Zuerst haben wir mit kleinen Formaten experimentiert und dann Jahresprojekte gemacht, wo wir Themen vermittelt haben wie die Relativitätstheorie, Nanoskopie oder Genforschung. Wir haben sie auch immer mehr mit Spitzenforschung in Kontakt gebracht, zum Beispiel mit einer Biochemie-Nobelpreisträgerin in Tübingen. Letztendlich haben wir uns entschieden, „Gemeinsam“ als Zweijahresprojekt bei der Klaus Tschira Stiftung zu beantragen.

epd: Mit welchen Herausforderungen haben Sie zu tun, wenn Sie mit Mittelschulen arbeiten?

Rösch: Es braucht sehr viel Zeitaufwand, weil diese jungen Menschen starke innere Vorbehalte haben gegenüber Leuten im Jackett, von Universität oder Gymnasium. Da braucht es einen langen Vorlauf, wo gute Beziehungen entstehen, wo man sich versteht und über alles Mögliche sich austauscht. Man muss den Jugendlichen die Möglichkeit geben, stark haptisch und plastisch zu arbeiten und mit konkreten Aufgaben. Dann wächst das Interesse und auch einiges an Fähigkeit, zu verstehen, auch wenn sie weniger Übung darin haben, Texte zu lesen. Gerade bei komplexen Dingen sind es die Schüler oft nicht gewohnt, sich anzustrengen – nicht, weil sie faul wären, sondern weil sie immer wieder gelernt haben: „Das ist ja eh nichts für uns. Das verstehen wir sowieso nicht.“ Das haben sie lebenslang eingeübt. Und da gibt es auch eine gewisse Ausgrenzungskultur von Akademikern, die wiederum Abneigung oder Desinteresse hervorruft.

epd: In dem Projekt wollen Sie das ändern. Die Projektgruppen lernen Berufe rund um das Thema Klima kennen und besuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die dazu forschen. Wie gehen Sie da didaktisch ran?

Rösch: Unsere Moderatoren sind ein ganzes Jahr bei einer Schulklasse, jede Woche. Dadurch kann ein gutes Miteinander entstehen, weil sie sich gegenseitig kennenlernen und man weiß, wie man miteinander umgehen muss. Wichtig ist, dass die Jugendlichen möglichst viel in die Hände kriegen. Sie basteln kleine Modelle oder arbeiten mit Kameras. Wichtig ist auch, dass sie in möglichst vielen Stufen an das Ganze herangeführt werden. Über die Berufe, die sie bei den Exkursionen kennenlernen, kommen sie ins Thema rein und fangen an, über die Inhalte zu reden. Dann erst sprechen sie mit den Forschenden. Ein wichtiges pädagogisches Element ist auch, dass sie am Ende des Projekts in eigenen Filmen erklären, was sie gelernt haben. Ein Kernelement des Projekts ist schließlich, dass wir ihr Selbstwertgefühl stärken. Sie kommen mit besonderen Wissenschaftlern und ihren Theorien in Kontakt, werden bei Universitätsbesuchen freundlich behandelt und verstehen das, was dort gemacht wird, weil wir sie darauf vorbereitet haben. Natürlich klappt das nicht bei allen Schülern, aber in der Regel macht sie das selbstbewusster.

epd: Mittelschulen werden, wie Sie selbst sagen, oft nicht als Zielgruppe wissenschaftlicher Themen wahrgenommen. Wieso setzen Sie sich dafür ein, dass sich das ändert?

Rösch: Das hängt auch mit meiner eigenen Familiengeschichte zusammen. Mein Großvater war Bauer, meine Verwandten väterlicherseits waren Arbeiter. Als Kind habe ich immer bewundert, wie sie es schaffen, mit so einer großen Landwirtschaft zurechtzukommen. Gleichzeitig habe ich auch immer wieder erlebt, wie Leute mit einer städtisch-akademischen Sozialisierung immer wieder die Fragen stellen: „Sind die nicht alle so ein bisschen plump und dumm?“ Über die Erzählungen meines Vaters vom Leben auf dem Bauernhof habe ich gemerkt, dass das Vorurteile sind. Es ist einfach eine andere Art zu leben und zu denken. Andererseits hat es immer wieder Freude gemacht, ihnen zu erklären, was ich als Historiker eigentlich mache. Da habe ich gemerkt, es ist einfach unmöglich, dass wir nur in diesem akademischen Viertel bleiben und ganze Bevölkerungsteile ausschließen.

epd: Neben „Gemeinsam“ machen Sie über das Schulmuseum noch mehr Projekte mit Schülerinnen und Schülern. Gerade auch eines zur NS-Vergangenheit und Erinnerungskultur.

Rösch: Das wird eine 200 Quadratmeter große Ausstellung, die im Februar 2025 eröffnet. Jugendliche aller Schularten sind die Zielgruppe. Sie sollen sich damit auseinandersetzen, wie die Deutschen nach 1945 mit ihrer NS-Vergangenheit umgegangen sind, aber auch, wie wir heute damit umgehen wollen. Wir thematisieren die Zeit des Schweigens und Verleugnens in den 50er- bis 70er-Jahren, aber auch die Zeit einer kritischen Erinnerungskultur und das starke Infragestellen seit dem Aufkommen der AfD. Wir wollen das verstärkt aus der Jugendperspektive erzählen und möglichst viele Opfergruppen zeigen. Mitgewirkt haben sechs Schulen im ganzen Bundesgebiet, zum Beispiel in Nürnberg, Berlin und Frankfurt, wo ich immer wieder hingefahren bin und mich ein, zwei Jahre lang mit Schülern unterhalten habe. Die Ausstellung startet in Frankfurt und wandert dann in die verschiedenen Projektstädte.

epd: Das Projekt „Gemeinsam“ endet mit diesem Schuljahr. Wie geht es danach weiter?

Rösch: Wir sind gerade an einem Antrag zur Verlängerung dran und wollen das an den Schulen implementieren. Eine Schule überlegt schon, wie sie das ohne uns umsetzen kann. Das muss auch das Ziel sein, dass Schulen selbst Kontakte aufnehmen oder einen Pool von Forschenden haben, mit denen sie zusammenarbeiten können. Das ließe sich auch gut überregional ausweiten, die Grundideen sind nicht so komplex. Und an Mittelschulen sind oft hoch motivierte Lehrkräfte dabei, die das umsetzen könnten. Der Unterricht an sich gibt das alles her. Wir haben uns für unsere Projekte auch an Unterrichtsthemen orientiert. An Mittelschulen ist es ein guter Usus, immer wieder mit Didaktik zu experimentieren. Wenn man es denn einbringen will, ist da genügend Platz. (00/1615/28.05.2024)