Alkohol, Drogen oder Internetspiele: Ist der Partner oder das Kind abhängig, dreht sich meist alles nur noch um das Suchtmittel. Dabei bleiben wichtige Fragen auf der Strecke, sagt eine Psychologin.
In die Sprechstunde von Ursula Dannhäuser kommen viele Paare, weil sie Beziehungsprobleme haben: Sie können nicht mehr miteinander reden, ohne zu streiten, oder die Sexualität ist ihnen verloren gegangen. “Als ersten Lösungsweg, den sich ein Partner oder eine Partnerin sucht, treffen wir oft auf ein riskantes Suchtmittel”, berichtet die Diplom-Psychologin, die die Katholische Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen in Bonn leitet. In der Folge würde das Suchtmittel zum einzigen Thema des Paares – und überdecke das eigentliche Problem.
Auch bei Hagen Decker und John Cook, den Machern des Podcasts “Sucht & Süchtig”, bestimmte Drogenkonsum lange Zeit das gesamte Leben. “Wir haben eine Beziehung mit der Droge geführt”, sagte Cook unlängst während eines Live-Podcasts im Bonner Münster. Erzieher Cook und Regisseur Decker waren jahrelang kokainabhängig und haben sich in einer Entzugsklinik kennengelernt. Beide haben zahlreiche Entgiftungen hinter sich; inzwischen bezeichnen sie sich als genesen. Ihr Weg dorthin war steinig – und verlangt ihnen weiterhin viel ab.
“Als Mensch war ich eine komplette Katastrophe. Ich habe gelogen, geklaut und anderen das Leben zur Hölle gemacht”, berichtet Decker von seiner Sucht. Mit Kokain aber habe er sich vollständig gefühlt: “Auf einmal war meine Welt Farbfernsehen, nicht mehr nur schwarz-weiß”, sagt der Berliner, der zum ersten Mal nach eigenen Worten mit 25 Jahren kokste. Cook vergleicht die Sucht mit einem Puzzle: Die Droge sei wie ein fehlendes Puzzleteil gewesen, habe die Leerstelle aber doch nur scheinbar gefüllt.
“Ein Suchtmittel wird als etwas entdeckt, das beruhigt”, erklärt Dannhäuser im Gespräch mit der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA). Es helfe den Süchtigen, zu funktionieren. “Aber sehr schnell entsteht ein Teufelskreis. Das Suchtmittel macht körperlich und psychisch abhängig. In Beziehungen hat das dramatische Auswirkungen”. So komme der Süchtige zum Beispiel nicht mehr nach Hause, verspiele Geld oder gebe es für den Konsum aus. “Sucht ist unheimlich teuer”, so die Psychologin.
Das bestätigen Cook und Decker: “Ich habe schon im dritten Jahr das erste Mal meinen Computer verkauft. Für eine Einheit Kokain habe ich in Kauf genommen, vier Tage nichts zu essen zu haben”, erinnert sich der Regisseur. Sogar den Goldschmuck seiner damaligen Partnerin habe er versetzt. “Ich habe in meinem Umfeld ganz viele tiefe Wunden hinterlassen.” Auch Cook berichtet von Dingen, die er ohne Drogen niemals getan hätte: “Es sind Dinge, für die wir uns wahnsinnig schämen.”
Als ehemaliger Süchtiger müsse man akzeptieren, dass das, was man getan habe, Auswirkungen habe, sagt Dannhäuser. “Auch wenn ich auf einem guten Weg bin, kann es sein, dass meine Partnerin und meine Kinder länger brauchen.” Decker erklärt, durch die Sucht “alles” verloren zu haben. Seine damalige Partnerin hatte sich nach einem Rückfall von ihm getrennt. “Der Rückfall hat mich meine Familie gekostet. Aber er hat mir auch das Leben geschenkt, weil ich verstanden habe, dass ich krank bin”, sagt er heute.
In Deckers Fall war es ebenfalls die Partnerin, die zur Suchtberatung drängte. Kann das funktionieren? “Früher galt es, den süchtigen Partner oder das süchtige Kind fallen zu lassen”, erklärt Dannhäuser. Das sei heute überholt. Aber: “Letztlich ist es immer die Entscheidung des Betroffenen.”
Die Aussicht auf Erfolg bei einer sogenannten Fremdmotivation sei von Mensch zu Mensch unterschiedlich. “Es gibt trockene Alkoholiker, die sagen: Ich bin so froh, dass meine Frau bei mir geblieben ist, sonst hätte ich es nie geschafft. Andere sagen: Gut, dass sich meine Frau getrennt hat, sonst hätte ich es nie geschafft, trocken zu werden.”
So oder so entwickelten sich in suchtbelasteten Beziehungen oft sehr ungünstige Muster. Manche würden etwa anfangen, die Drogen zu vernichten oder den Alkohol wegzuschütten. “Das ist verständlich, aber kein guter Weg”, sagt die Beraterin. Denn auf dem Tisch liege dann nicht mehr die Frage danach, was eigentlich los sei – was der Auslöser der Abhängigkeit gewesen ist.