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Wie neu geboren

Wer sagt denn, dass man im Winter frieren muss? Gerade in der dunklen Jahreszeit frönen viele Deutsche einer heißen Leidenschaft. Die Sauna steht bei vielen als Entspannungsort hoch im Kurs. Die Schwitzerei hat übrigens einen religiösen Ursprung

Während die einen über Nässe, Kälte und Dunkelheit mosern, schlägt das Herz von Saunaliebhabern in den Wintermonaten höher. Für sie gibt es nichts Schöneres, als befreit von allen Textilien in der Wärme zu sitzen und zu entspannen.
Schwitzen in Gemeinschaft hat eine jahrtausendealte Tradition, und es ist auch keine Erfindung aus der vermeintlichen Sauna-Nation Finnland. Schon in der Steinzeit haben sich Menschen in kleinen Erdlöchern zu reinigenden Schwitzbädern eingefunden, wo sie heiße Steine mit Wasser übergossen, weiß Andreas Henke, der sich mit der Geschichte befasst hat. Die ältesten dieser Erdlöcher wurden in Ostasien gefunden, von wo aus sich das Schwitzbad über Europa bis nach Mittel- und Südamerika verbreitet hat.
Dienten diese Erdsaunen zunächst der Körperpflege, wurden sie mit der Entwicklung der Zivilisation und der Religion zu „spirituellen Orten“, so Henke. „Die Sauna – auch Schwitzhütte genannt – hatte nun den Zweck, die Seele von bösen Geistern zu reinigen.“ Für nordamerikanische Indianer beispielsweise hatte der Besuch in der Schwitzhütte (Inipi) auch eine spirituelle Dimension – sie gingen dort auf Visionssuche oder bereiteten sich rituell auf Feiern vor. Schwitzen und Beten sollten eine innere wie äußere Reinigung bewirken, mitunter auch Krankheiten heilen. Durch den Aufenthalt in dem heißen, engen, abgedunkelten Raum wurde man quasi wie neu geboren und kehrte gestärkt ins Leben zurück.
Diese Wirkung würden auch die Finnen unterschreiben. Für Katja Pantzar, die in ihrem Buch „Sisu“ dem finnischen Lebensgefühl nachgeht, trägt die Sauna neben dem beliebten Winterschwimmen dazu bei, dass die Menschen im Norden eine besondere innere Stärke und Widerstandskraft entwickeln konnten. Der regelmäßige Rückzug in die Sauna, um Körper und Geist zu reinigen und zu entspannen, lindere nicht nur Stress, sondern sorge auch für besseren Schlaf und gute Abwehrkräfte. „Die Sauna ist die Apotheke der Armen“, zitiert Pantzar ein Sprichwort.
Das gesellige Schwitzen ist ein Mitbringsel aus der ursprünglich asiatischen Heimat der Finnen. Sie nahmen bei ihrer Wanderung gen Norden auch das Dampfbad mit; die wohlige Wärme bot eine willkommene Abwechslung zum kalten Klima. Weil im kalten und harten Frostboden aber keine Erdlöcher zum Saunieren gegraben werden konnten, entstanden die bekannten hölzernen Blockhütten, erklärt Henke.
Davon gibt es in Finnland jede Menge – auf 5,5 Millionen Einwohner kommen laut Pantzar geschätzt 3,3 Millionen private Saunas. Ganz selbstverständlich und ohne Scheu vor schiefen Blicken trifft man sich dort zum Schwitzen. In dem nordischen Land seien sie ein „so wesentlicher Bestandteil des Lebens und sozialen Miteinanders, dass ein Verzicht so wäre, als würde man sich bei einer Dinnerparty weigern, mit den anderen zu essen“.
Auch wenn Finnland als „die“ Saunanation gilt – in Deutschland wird noch mehr geschwitzt, betont Rolf-A. Pieper, Geschäftsführer des Deutschen Saunabundes. Die Deutschen seien „mit riesigem Abstand Weltmeister im Saunabaden“, so Pieper. Hierzulande gibt es demnach über 10 000 öffentliche Schwitzmöglichkeiten, darunter 2100 große Saunaanlagen. Und längst ist Sauna nicht gleich Sauna: Je nach Temperatur, zwischen 50 und schweißtreibenden 115 Grad, und Luftfeuchtigkeit – von trocken bis Dampfbad – gibt es die unterschiedlichsten Schwitzmöglichkeiten.
Dass ausgerechnet die Deutschen so sauna-affin sind, mag verwundern. Denn im Unterschied zu anderen Ländern sind Schwitzbäder hierzulande eine vergleichsweise junge Erscheinung, die Veteranen des Zweiten Weltkriegs von der Ostfront mitgebracht hatten, weiß Andreas Henke. In Russland lernten viele die Banja, das russische Badehaus, kennen. Nach ihrer Rückkehr eröffneten einige Kriegsheimkehrer erste öffentliche Saunen in Deutschland. Und trafen damit offenbar einen Nerv. Heute gehen 30,6 Millionen Deutsche laut Sauna-Experte Pieper regelmäßig ins Schwitzbad.