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Wie man mit seinen Geschwistern Frieden schließt

Geschwisterbeziehungen sind oft die längsten im Leben – dennoch gehen manche in die Brüche. Bestsellerautorin Ursula Ott zeigt in “Gezwisterliebe” Wege der Versöhnung auf.

Sie lieben sich, sie streiten sich: Geschwister. Die Journalistin und Schriftstellerin Ursula Ott (“Das Haus meiner Eltern hat viele Räume”) ist selbst jüngere Schwester und Mutter zweier Brüder. In ihrem neuen Buch “Gezwisterliebe” geht die 60-Jährige den Streitigkeiten zwischen Geschwistern ihrer eigenen Generation nach – die sich vor allem dann häufen, wenn es um die Pflege der eigenen Eltern oder ums Erben geht. Dabei ist die Beziehung zu Geschwistern meist die längste im Leben eines jeden Menschen – und daher besonders wertvoll. Gleichzeitig wird sie noch immer in ihrer Bedeutung unterschätzt.

Da ist etwa Gerd, der sich mit einem seiner zwei Brüder vor Gericht um Geld streitet, weil dieser vom Konto der dementen Mutter abgezweigt haben soll. Mit dem anderen Brüder teilte er sich einst eine Praxis für plastische Chirurgie – bis es auch hier zum Bruch kam. Die Konkurrenz und Rivalität unter den drei Brüdern im Erwachsenenalter, so beschreibt es Ott, rührt aus Kindertagen. “Jeder von uns dreien wollte der Erste bei ihr (der Mutter, Anm. d. Red.) sein”, zitiert die Journalistin Gerd.

Trotz Kontaktabbruch verfolgt dieser jüngste Bruder, eigentlich ein “lustiger Typ”, noch immer wieder via Facebook, was seine Geschwister so treiben. Die Chefredakteurin des evangelischen “Chrismon”-Magazins stellt fest: “Seelenfrieden sieht anders aus.” Sie halte es für unvernünftig, sich ausgerechnet im späteren Leben mit den Geschwistern zu verkrachen. “Denn da stehen meist Entscheidungen an, die man besser als Team gestaltet als im Stellungskrieg”, schreibt die Autorin, die für ihre Recherchen auch mit Fachleuten sprach, etwa dem renommierten Geschwisterforscher Jürg Frick.

Da gehe es etwa um die Pflege eines Elternteils, die Zukunft des gemeinsamen Elternhauses oder die Gestaltung einer Beerdigung. “Klar können das notfalls Anwältinnen und Notare lösen”, meint Ott. Aber das koste nicht nur Geld, sondern auch Lebensenergie – die doch gerade im fortgeschrittenen Alter besser einzusetzen sei. “Zum Beispiel für die eigene Gesundheit, den eigenen Ruhestand, vielleicht auch für die eigenen Kinder oder Enkel.”

Ein weiteres Geschwistertrio, das Ott vorstellt, zeigt, dass es anders gehen kann als bei den Brüdern – mithilfe einer Mediatorin: Drei Schwestern schaffen es trotz ihrer Unterschiedlichkeit, das Lebenswerk ihrer Mutter – einen Friseursalon in einem kleinen Eifeldorf – zu retten. Sie schauen gemeinsam zurück auf ihre Kindheit und lernen, dass sie ihren früheren Geschwisterrollen entwachsen können. Das hilft ihnen dabei, das Unternehmen ihrer Mutter auf neue Beine zu stellen.

Autorin Ott besucht noch viele weitere Geschwister und erzählt ihre Geschichten. Obwohl das Buch nach ihren Worten kein Ratgeber sein soll, schafft die Journalistin es doch, aus ihren Begegnungen eine Essenz zu destillieren, die sich Geschwister zu Herzen nehmen können:

1. – laut Ott muss man sich dafür zunächst mit dieser Rolle auseinandersetzen und verstehen, dass man nicht ein Leben lang Opfer der Familienverhältnisse sein muss.

2. – Scheinbar ungerechte Bevorzugungen oder Benachteiligungen in der Kindheit sind der Autorin zufolge häufig auch auf den damaligen Zeitgeist zurückzuführen. Das müsse man als Leidtragender nicht entschuldigen, könne aber versuchen, es zu verstehen.

3. – Gewisse Verhaltensweisen der Geschwister können einen “triggern”. Ott rät allerdings dazu, nicht jedes Mal auszuflippen, wenn die Schwester wieder ihre Piepsstimme anstelle. Man müsse nicht jede derartige “Einladung” annehmen.

4. – Wenn sich Geschwister regelmäßig treffen, können sie gemeinsam auf die Kindheit schauen. Laut Ott bilden die verschiedenen Perspektiven darauf ein bunteres Bild, das dabei hilft, sich mit der eigenen Kindheit zu versöhnen.

5. – Gerechtigkeit unter Geschwistern gibt es der Autorin zufolge nicht – auch nicht, wenn die Eltern die besten Absichten hätten. Am besten sei es, sich damit abzufinden, rät sie.

6. – Unter Geschwistern darum zu ringen, wer die Eltern besser deuten könne und mehr mit ihnen durchlebt habe, sei sinnlos, sagt Ott. Jedes Kind verbinde anderes mit seinen Eltern, die auch jeweils bei jedem Kind in anderen Zeitläufen gesteckt hätten. Jeder Bruder oder jede Schwester könne sich deshalb mit seinem ganz eigenen Teil der Familiengeschichte aussöhnen.