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Wie Gott sich die Welt erträumt

Musical – da steckt Musik drin. Aber auch eine Handlung. Beim „Martin Luther King“-Musical sogar eine Botschaft: „Lasst euch nicht eure Menschlichkeit und Fähigkeit zur Empathie ausreden.“ Gespräch mit Andreas Malessa, der das Libretto schrieb

Träume sind Schäume? Ein gewaltiger Träumer, der die Welt verändert hat, war Martin Luther King. Der Baptistenpastor aus Atlanta/Georgia war einer der bekanntesten Bürgerrechtler der neueren Geschichte. Vehement und unter Einsatz seines Lebens setzte King sich für die Afroamerikaner in den USA ein, aber auch ganz grundsätzlich gegen Gewalt, Rassentrennung und für Bürgerrechte. Seine Geschichte erzählt jetzt ein neues Musical, das am 20. Juni beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dortmund uraufgeführt wird und danach auf Tournee geht. Gerd-Matthias Hoeffchen sprach mit Andreas Malessa, der für den Aufbau des Musicals und die Texte zuständig ist.

• Martin Luther King wäre in diesem Jahr 90 geworden. Warum erscheint ausgerechnet jetzt ein Musical über ihn ?
Weil dieser Mensch und das, was er uns zu sagen hat, hochaktuell ist. Schauen Sie, wohin die Welt sich gerade entwickelt: Wollen wir eine humane und an Werten wie Nächstenliebe orientierte Gesellschaft? Oder eine, die sich „völkisch“-egoistisch-zurückentwickelt? Christinnen und Christen sollten sich erinnern, dass sie gesellschaftliche und politische Verantwortung haben. Und zwar gerade aufgrund ihres Glaubens und ihrer christlichen Werte. Martin Luther King brachte beides zusammen: persönliche Spiritualität und gesellschaftliche Verantwortung. Er war ein frommer Beter und ein politischer Kämpfer.

• Sein Wirken ist untrennbar verbunden mit der Gospelmusik.
Das kommt noch dazu. Dieser wundervolle Gospel und Soul der 60er Jahre! Im Moment boomt die Gospel-Szene ja gewaltig. Da macht es wahnsinnig Spaß, den Spirit der alten Tage aufzugreifen und in neue Songs zu packen.

• Die Musik fürs Musical kommt von Hanjo Gäbler und Christoph Terbuyken. Hätten Sie nicht Lust gehabt, das gleich mitzumachen? Sie waren viele Jahre selbst erfolgreich als Musiker.
(lacht) Ich war ja nur so eine Art Gebrauchsmusiker.

• Aber, Entschuldigung. Als Duo „Arno und Andreas“ waren Sie gemeinsam mit Arno Backhaus viele Jahre einer der Helden und Vorbilder der christlichen Jugend- und Musikszene.
Aaah, das geht ja runter wie Sahne. Aber im Ernst: In den 70ern und 80ern hatten wir unseren „Erfolg“ in der Kombination von frechen, aber gehaltvollen Texten mit Arnos Fähigkeit zu humorvoller Spontaneität auf der Bühne. Es waren aber – lange vor Erfindung der CD oder gar des Internets! – andere Zeiten und Gewohnheiten in der christlichen Jugendarbeit.

•     Das Ganze wurde dann von Ihrem Pianisten und Produzenten Dieter Falk noch mal musikalisch veredelt …
Eben. Wir bereuen ja auch nichts. Und heute, beim „Martin Luther King“-Musical, habe ich mit Hanjo Gäbler und Christoph Terbuyken zwei Komponisten und Arrangeure, die sich auf ebensolchem Spitzen-Level bewegen. Diese Filmmusik-und Orchester-Cracks setzen meine Texte um? Die reine Freude! Und das singen dann 2400 Chorsängerinnen und -sänger, plus Star-Solisten der internationalen Musicalszene. Das ehrt mich.

• Hat das Musical eine Message, eine Botschaft?
Auf jeden Fall. „Im November ist noch nicht zu sehen, dass im Frühling hier die Bäume blühen, dass nach Schnee und Eis der Weizen sprießt – Wer nicht glaubt, wer nicht hoffen kann, ist kein Realist“, singt Martin. Und meint: Glaube, Liebe, Hoffnung sind nicht naiv, sondern realistisch zukunftsträchtig.
n Das klingt schön. Aber passt das in eine Welt, die von knallharten Machtmenschen und milliardenschweren Interessen beherrscht wird?
Es geht nicht um Tagträume oder rosa Phantasien, sondern um die „konkrete Utopie“ von Humanität und Menschenwürde. Nachzulesen bei den alttestamentlichen Propheten und in der Bergpredigt des Jesus von Nazareth. „U topos“ kommt aus dem Griechischen und heißt: Eine Idee, die NOCH keine Wirklichkeit hat. Aber sie kann Wirklichkeit werden. Gehen wir die Jahrhunderte durch: 1648, nach 30 Jahren Massakern zwischen Katholiken und Protestanten in ganz Europa, schien Religionsfriede unmöglich. Er kam. 1789, im französischen Absolutismus, schien Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz unmöglich. Sie kam. 1865, im Zeitalter der Sklaverei, schien Freiheit für Schwarze unmöglich. Sie kam. 1945, nach zwei Weltkriegen und über 80 Millionen Toten, schien Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland unmöglich. Haben wir heute. Alles mal ein „Traum“ gewesen…

• … und doch wurde es Wirklichkeit.
Eben. Das sagen, singen, tanzen und spielen wir: Solche Visionen können Macht entfalten. Sie sind Ideale, die zu verfolgen sich wirklich lohnt. Weil Gott sie segnet.

• Womit wir wieder bei Martin Luther King wären.
Richtig. Martin Luther Kings Vision von Gerechtigkeit und Frieden stammt doch gar nicht von ihm. Es ist Gottes Traum. Von der kommenden, „heilen“ Welt des „Schalom“, wie Juden sagen und beten, in der Gottes Wille Wirklichkeit wird. Und die jetzt schon, zart und zeichenhaft und immer wieder, kurz aufblitzen kann. Martin Luther King hatte diesen großen Traum. Und er lebte ihn. Mit allen Folgen.

• Wie setzt man so eine gewaltige Idee um in knapp zwei Stunden Musical?
In 22 Liedern und 13 Spielszenen. Dramaturgisch war meine Frage vorweg: Wie erzähle ich eine Geschichte spannend, wenn jeder weiß, wie sie ausgeht? Dass Martin Luther King ermordet wurde, weiß ja jeder. Daraufhin kann ich also keinen Spannungsbogen aufbauen. Deshalb beginnt die Story gleich beim Attentat. Und erzählt dann in Rückblenden, was geschehen ist, was seine Weggefährten draus gemacht haben und was wir heute daraus machen können.

• Nämlich was?
„Wir halten fest, trotz Spott und Hohn, dass bald schon, irgendwann, nicht Rasse und nicht Religion den Hass begründen kann“, singt Rosa Parks im zweiten Lied. Schauen Sie sich an, wie aktuell sich latenter Rassismus, Polarisierung in Arm und Reich, Misstrauen und Nationalismus wieder ausgebreitet haben.

• Stichwort: AfD?
Aber hallo! „Konservativ“ im Wortsinn wäre doch: Werte erhalten, humanitäre Ideale vor-leben und damit haltbar machen. Die AfD „bewahrt“ aber keine Werte, sondern zerstört sie. Weil sie berechtigte Kritik an den Mächtigen in Hass auf die Ohnmächtigen umwandelt. Die Trumps, Orbans, Putins, Erdogans – das ist Faschismus auf leisen Sohlen, der im bürgerlichen Gewand daherkommt. Als Christen halten wir Gottes Vision dagegen: „Mein Traum ist der, dass uns Barmherzigkeit berührt und uns zur Not des Nächsten führt“, singt King im Musical.

• Die Lehre aus der Beschäftigung mit Martin Luther King: Wie würde eine konkrete Utopie für heute aussehen?
Eine umweltverträgliche Weltwirtschaft mit sozialer Verantwortung und Gerechtigkeit. Das ist die Herausforderung für uns heute, finde ich.

• Wenn die Leute aus dem Musical herausgehen – was sollen sie dann mitnehmen?
Zuversicht. Ein tiefes Vertrauen. Nicht allein über den Kopf, sondern auch im Herzen. Sie sollen nicht nur kognitiv, sondern vor allem emotional berührt werden. Dass Gott Gerechtigkeit, Friede und Nächstenliebe will und schafft. Martin Luther King drückte das mit den Worten des Propheten Amos so aus: „Es ströme das Recht wie Wasser“. Denn Wasser bricht den Stein. Gottes Zusage steht: Langfristig werden die Sanftmütigen die Erde besitzen. Lasst euch nicht eure Menschlichkeit und Empathiefähigkeit ausreden.