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Wie geht Versöhnung in einer Eltern-Kind-Beziehung?

Die Beziehung zu den Eltern ist die wohl wichtigste im Leben – doch was, wenn sie nicht gut ist? Unsere Redakteurin sortiert ihre Gedanken zwischen Beziehungsarbeit und Kontaktabbruch.

Manchmal fällt es schwer, einem anderen Menschen sein Herz zu geben - selbst wenn es die eigenen Eltern sind
Manchmal fällt es schwer, einem anderen Menschen sein Herz zu geben - selbst wenn es die eigenen Eltern sindShutterstock / evrymmnt

Enttäuschung, Wut, Streit – in Familien gibt es ständig Konflikte. Auch in meiner. Denn Familienkonstellationen sind manchmal schwierig. Das weiß schon die Bibel. Da machen Eltern nicht immer alles richtig, die Kinder fügen sich nicht so, wie sie sollen. Da gibt es Väter, die bereit sind, ihre Kinder zu opfern. Eltern, die eines ihrer Kinder bevorzugen oder sie für ihre Zwecke benutzen. Und auch Kinder, die den Erwartungen der Eltern nicht gerecht werden.

Eltern-Kind-Beziehungen sind existenziell, im wahrsten Sinne. Eltern bringen ihre Kinder in diese Welt, Kinder sind auf ihre Eltern angewiesen, sind darauf gepolt, sie zu lieben. Doch damit ist leider nicht gesagt, dass die Beziehungen immer gut sind. Familienkonflikte sind nicht selten, im Gegenteil, sie sind ein großes Thema in unserer Gesellschaft.

Missbrauch, Alkoholismus, sich nicht gesehen fühlen, Kälte, Ablehnung, zu viel Aufmerksamkeit – die Probleme sind vielfältig, die Gräben oft tief. Eine extreme Folge ist der völlige Kontaktabbruch. Verletzungen gibt es auf beiden Seiten. Dennoch gibt es vielfach den Wunsch der Versöhnung, insbesondere dann, wenn es ans Sterben geht. Der Wunsch mag da sein, und auch in der Bibel ist Vergebung ein wichtiges Thema. Doch im wahren Leben geht das nicht immer.

Ein letzter Versuch, dann war Schluss

Ein Freund von mir hat bis ins Erwachsenenalter sehr unter seinem Vater gelitten, der schwerer Alkoholiker war. Die Beziehung war nie normal, sie war schmerzhaft und in seinen Zwanzigern hat er schließlich den Kontakt abgebrochen. Jahre später hat sein Vater sich beinahe zu Tode getrunken. Panisch, kurz vor dem Kollaps rief er seinen Sohn an, bat ihn um Hilfe.

Mein Freund half, brachte den Vater ins Krankenhaus. Er lag im Koma. Jeden Tag saß mein Freund an seinem Bett, sprach mit ihm. Als er aufwachte, war es für beide ein Geschenk. Eine zweite Chance für die Beziehung. Doch nach ein paar Wochen trank der Vater sich erneut ins Koma. Danach war es vorbei. Mein Freund hat nie wieder mit ihm gesprochen. Er hat es nicht bereut, auch als sein Vater vor vielen Jahren gestorben ist. Mein Freund hat sich ausgesöhnt. Nicht mit seinem Vater, sondern mit sich selbst, mit seiner Entscheidung.

Manche können verzeihen – manche nicht

Geht es um einen Kontaktabbruch, dann stellt sich doch immer – und bei Eltern im besonderen Maße – genau diese Frage: Werde ich es bereuen, dass ich mich so entschieden habe? Wenn sie sterben und ich nicht mehr mit ihnen gesprochen habe?

Experten raten in den meisten Fällen zur Versöhnung, sie plädieren für Milde den Eltern gegenüber. Letztlich gehe es darum, ihnen zu vergeben und anzuerkennen, was diese trotz vielleicht schwieriger Umstände geleistet hätten. Auch ein Brief könne helfen, sich auszusöhnen. Sogar dann, wenn die Eltern schon tot sind, könne das heilsam sein.

Eine Bekannte von mir wurde jahrelang von ihrem Vater missbraucht. Auf dem Sterbebett hat sie ihm tatsächlich verziehen. Ihre Größe finde ich bewundernswert. Ich halte sie für fast übermenschlich. Nicht jede und jeder kann das. Und vielleicht sollte man es auch nicht immer tun. Vielleicht gibt es Dinge, die eigentlich nicht zu vergeben sind.

Auf der Suche nach Balance

Eine allgemeine Antwort gibt es nicht. Aber jede und jeder sollte für sich eine Antwort auf die Frage finden: Was kann ich vergeben? Welche Beziehung möchte ich zu meinen Eltern haben?

Ich stelle mir diese Frage seit einigen Jahren. Die Beziehung zu meinen Eltern ist nicht einfach, es gibt immer wieder Konflikte. Seit Langem versuche ich, eine Balance zu finden – zwischen dem, was sie wollen, und dem, was ich zu geben bereit bin. Denn dazwischen gibt es einen großen Unterschied. Immer, wenn ich auf Abstand gehe, quält mich der Gedanke: Wenn du jetzt nicht Zeit mit ihnen verbringst, wirst du das dann irgendwann bereuen? Wie viel Kontakt will ich und wie sieht der aus? Dazu muss ich eine Haltung finden. Zu meinen Eltern und zu meinen Gefühlen. Das müssen wir alle irgendwie.