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Wie geht es jetzt weiter?

Man sollte sich weiter an Luther reiben, meint der Theologe Traugott Jähnichen

Wie hat das Reformationsjubiläum unsere Sicht auf Martin Luther verändert? Und: Wie geht es jetzt weiter? Gerd-Matthias Hoeffchen sprach mit Traugott Jähnichen, Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum.

Nach dem Finale am 31.10.: Wie geht’s weiter?
Die evangelische Kirche sollte nicht sagen: Geschafft, nun ist es vorbei. Das Jubiläum hat gezeigt: Bei Luther gibt es immer wieder Neues zu entdecken, da schlummern noch viele Potenziale. Gerade in der Ethik. Sein Verhältnis zur Obrigkeit, sein Eheverständnis. Auch Luthers Kritik an den Monopolgesellschaften seiner Zeit sowie seine Würdigung des Marktes. Man sollte sich weiter an dem Reformator reiben, Entdeckungen machen, sich mit ihm auseinandersetzen.
Günter Brakelmann hat es einmal so ausgedrückt: „Wir haben Luther noch längst nicht hinter uns, sondern immer wieder vor uns.“

Hat das Reformationsjubiläum unsere Sicht auf Luther verändert?
Ja, ich denke schon. Im Vorlauf zum Jubiläum, in der Reformationsdekade,  wurde viel über Martin Luther und die Reformation geforscht und diskutiert. Theologisch, historisch, kulturwissenschaftlich, politisch. Wir sehen ihn jetzt viel stärker in seinem historischen Umfeld, als ein Kind seiner Zeit.

Das war früher anders?
Bei früheren Jubiläen wurde Luther deutlich mehr für aktuelle Anliegen vereinnahmt: als antirömischer Kämpfer, fürs Vaterland, für das Deutschtum usw.

Diesmal erscheint er als Freiheitsheld.
Luther war ganz sicher kein Held. Das hat die Beschäftigung mit ihm und seiner Zeit herausgestellt. Luther hatte seine problematischen Seiten. Seine Einstellungen gegenüber Juden, Türken, vor allem gegenüber der katholischen Kirche – das war aufgeladen von Luthers Erwartung, dass der Weltuntergang kurz bevorstünde. Luther war aber ein Rebell, aus dem Glauben heraus. Dies war er gegenüber seinem Vater, als er Mönch wurde. Dies war er gegenüber der Kirche, dem Papst, dem Kaiser, als er das Evangelium neu entdeckt hatte.

Trotzdem hat er dazu aufgerufen, der Obrigkeit untertan zu sein.
Wir dürfen nicht heutige Vorstellungen von Demokratie und Staatsverfassung an Luther anlegen. Für ihn war die Obrigkeit von Gott eingesetzt. Aber das hieß immer auch, dass der Mensch im Zweifelsfall Gott mehr gehorchen musste als der Obrigkeit.

War Luther ein politischer Mensch?
Ja, ganz im Sinne der Lehre von den zwei Reichen – das eine das Reich Christi, das andere die politische Ordnung. Das hieß konkret: Der Pfarrer sollte nicht den Fuß ins Rathaus setzen und selbst Politik treiben. Aber er hatte genau zu beobachten, was dort passiert und sich gegebenenfalls zu Wort zu melden.

Bei diesem Jubiläum wurde die Botschaft der Reformation oft zugespitzt auf die Stichworte: „Du bist frei“ und „Du musst selber denken“. Ist das eine Verkürzung?
Es braucht solche Zuspitzungen, um die Botschaft öffentlich deutlich zu machen. Und sie sind ja auch nicht falsch. Was dabei manchmal verloren zu gehen droht, ist die biblische Grundierung: Freiheit und das selbstständige Denken waren für Luther nur von Jesus Christus her zu verstehen. Insgesamt fand ich das Reformationsjubiläum aber gelungen. Es gab viele Kampagnen und Events, gerade auch in Westfalen und Lippe, die geholfen haben, das Anliegen der Reformation in die Öffentlichkeit zu bringen und neu zu vermitteln. Bis dahin, dass man an Schulen versucht hat, Luther im Original zu lesen.