Herr Zaimoglu, 2017 erscheinen viele Bücher über Luther – Sie haben einen Roman geschrieben. Wie kam das?
Feridun Zaimoglu: Man kann es mir glauben oder nicht, ich wusste wirklich nicht, dass nächstes Jahr das 500. Reformationjubiläum ist. Mein Lektor und ich saßen beieinander, und ich fing an, laut nachzudenken: Jetzt ist aber Schluss mit den Exotenthemen, jetzt will ich einen deutschen Stoff, und plötzlich sagte ich: Luther. Was liegt näher als Luther?
Haben Sie durch Ihre Recherche etwas Neues über Luther erfahren?
Ich bin darauf gestoßen, dass man Luther entweder heiligt – oder harsch kritisiert. Der Spießbürger von heute möchte Luther im Grunde als Anekdotenonkel. Er kauft Bücher wie „Kochen mit Luther“, und dann bereitet er Bratheringe mit Erbsenpüree zu und kichert. Die anderen fühlen sich toll als kritische Forscher, aber sie verkennen, wie mutig Luther war – ich meine nicht den späten Luther, der war ein Mann der Fürsten, der sich der Obrigkeit angedient hat. Aber er fing großartig an. Ich denke, er war ein großer Mann, ein mutiger Mann, ein Streiter für das Wort Gottes.
Was mögen Sie an Luthers Sprache?
Luther wollte das heilige Buch aufschlagen für das einfache Volk, und er wollte all die Blasphemie, die die Pfaffen daraufgelegt haben, wegstreichen. Und das, obwohl er die Hälfte seine Lebens gefangen war in der Theologie. Die Theologie ist Nachgeburt, eine Nachbesprechung des Heils. Was gilt, ist die Heiligkeit der ersten Stunde, und Luther fand die rechten Worte, um sie aufzuschreiben. Das finde ich an ihm großartig.
Haben Sie ein Beispiel?
Es ist mir ein Gräuel, dass die Spießer immer irgendwelche Zitate von Luther bringen. Meine Begeisterung betrifft nicht einfach nur Zitate. Man hat Luther ja vorgeworfen, dass er es sich bei der Übersetzung der Bibel leicht gemacht hat. Hat er auch. Zum Beispiel, wenn er „Logos“ als „Wort“ übersetzt. Logos ist natürlich viel mehr als „Wort“. Aber wie großartig ist denn dieser Satz: „Im Anfang war das Wort.“?
Ihnen gefällt die Einfachheit?
Ich mag auch, dass er ein grober Sachse war. Auch der Heiland kam von ganz unten. Er hat Aramäisch gesprochen, und Aramäisch ist das, was heute bei uns in Deutschland Prollsprache ist. Jesus kam aus der Provinz, aus dem Kaff – daran sollten all die kultivierten Theologen denken, die sich auf ihn berufen.
Interessant, dass Sie „Heiland“ sagen, auch ein Luther-Wort, aber heute selten genutzt.
Ich liebe ja das Deutsche. Mit Goethe oder Thomas Mann kann ich nichts anfangen. Das ist parfümierte Literatur. Aber Luther ist saftig und kräftig. Luther übersetzte das hebräische Wort für „Messias“ als „Heiland“. Und ich sage deswegen Heiland, weil ich natürlich auch als Moslem glaube, dass Jesus der Messias, der Heiland ist.
Tatsächlich?
Ich glaube an Jesus, wie ihn auch die ersten Judäo-Christen bezeugt haben, als einen Mensch aus Fleisch und Blut, der auf die Welt kam und starb. Er ist der Einzige, der im Koran als „Geist Gottes“ bezeichnet wird. Er ist ein Geliebter Gottes. Und natürlich liebe ich ihn heiß und innig. Er ist einer der schönsten Menschen, die auf Gottes Erde gewandelt sind.
Ist es schwierig, über jemanden wie Luther zu schreiben, über den es schon so viele Bücher gibt?
Ich kann nur schreiben, wenn ich mich selbst zerstöre. Ich bitte Sie, das nicht als Koketterie zu verstehen. Zaimoglu spielt überhaupt keine Rolle. Ich war in meinen Büchern mal ein Mädchen, das zu einer Frau wird, mal war ich ein Börsenmakler, mal ein Gangster. Ich war ein sechsjähriger deutscher Junge, ich war ruppige, harte 30-jährige Berlinerin – immer habe ich mit mir gebrochen. Für dieses Buch musste ich Martin Luther sein, und ich musste der Ich-Erzähler sein, ein katholischer Landsknecht, der vom Kurfürsten abgestellt wird, auf ihn aufzupassen. Die Leserinnen und Leser werden urteilen, ob es mir gelungen ist oder nicht.
Wie sind Sie Martin Luther geworden?
Ich hasse die Religion, aber ich glaube ja glühend an Gott. An den allmächtigen Gott. An den schönen Gott, dessen Knecht ich bin. Da können Sie sich vorstellen, dass ich mir nicht einfach wie ein Sozialarbeiter oder ein Feldforscher etwas anlesen konnte. Ich kenne den Glutkern des Glaubens! Ich habe neun Monate lang immer wieder die Bibel gelesen und Luthers Schriften. Ich war auf der Wartburg, ich habe das Eisenacher Umland in Gewaltmärschen erkundet. Dann schön deutsch schwermütig werden, dann auch wütend werden. „Was fällt diesen Pfaffen eigentlich ein? Sie verhökern Gottes Wort!“ Ich machte mich kaputt: wenig Essen, wenig Schlafen, früh aufstehen. Luther ging um zehn Uhr ins Bett und stand für das Morgengebet um drei Uhr auf. So habe ich es auch gemacht.
Wie ging es Ihnen danach, sind Sie Luther wieder losgeworden?
Es dauerte seine Zeit. Ich fühlte mich aus dieser Welt vertrieben. Jetzt bin ich zurückgeworfen auf mich, und meine banale Existenz interessiert mich einen Scheiß.
Machen Sie sich Sorgen, dass Sie in der Bücherflut zum Reformationsjubiläum untergehen?
Eigentlich nicht. Wenn ich untergehe, dann gehe ich unter. Ich rechne aber mit gewissen Attacken von Leuten, die mir vorwerfen: Ach Zaimoglu, Sie kennen sich aus oder wie?
Was antworten Sie diesen Kritikern?
Dann verweise ich darauf, dass sich jeder damit beschäftigen kann. Die Quellen sind ja zugänglich. Ich bewege mich übrigens die ganze Zeit auf christlichem Boden, aber selbstverständlich werden jene, die in meinem Buch nicht auf ihr Lieb-Lutherlein stoßen und denen die Argumente ausgehen, von mir als einem dreckigen Moslem sprechen.
Die revidierte Lutherbibel orientiert sich wieder an 1545. Was halten Sie davon?
Das finde ich natürlich sehr gut, denn es kommt viel Kladderadatsch heraus, wenn man die frohe Botschaft ins Jetzt-Deutsch übersetzt. Solche Bibeln habe ich gelesen, das ist nichts. Der schöne Ton ist weg.
Gibt es für Sie einen Zusammenhang zwischen Sprache und Heimat?
Sprache gehört zur Heimat, und meine Heimat ist Norddeutschland, ist Deutschland. Denn wenn ich mal weg bin – ich war ein Jahr als Stipendiat in Rom – , dachte ich: Ach, diese Operetten-Darsteller hier in Rom … Ich will das herbe Deutsch!
Seit wann ist das so?
Das ging sehr schnell. Als Türkenkind unter Türken musste ich ernst sein, und unter Deutschen habe ich immer gelacht. Und da dachte ich: Wo möchte ich sein? Natürlich da, wo gute Laune herrscht. Ich habe keinen Identitätskonflikt gehabt. Wer hier Probleme hat, der kann sich ja ein anderes Land aussuchen, dann haben alle Beteiligten weniger Kopfschmerzen. Ich habe gute Laune hier.
Dabei heißt es oft, Deutsche seien steif und bürokratisch.
Das ist so ein Quatsch. Wissen Sie, das sagen jene Leute, die vom Rande reinspähen. Die haben zweieinhalb Begegnungen mit Deutschen, aber reißen das Maul bis zum Arsch auf. Überhaupt – das ist jetzt in Richtung jener gesprochen, die in irgendwelchen Ausländervierteln glücklich werden wollen – reden wir hier von Deutschland. Das ist ein Land der Möglichkeiten. Und wenn man sich da als Moslem hinstellt und rumschluchzt oder wütend wird, dann sage ich: Zeig mir ein muslimisches Land, in dem du solche Freiheiten hast wie hier. Und dann nennen mich solche Leute Sippenverräter. Aber das ist für mich ein großes Kompliment.
Sie haben gesagt, Sie hassen die Religion. Verstehen Sie sich denn als Muslim?
Ja. Ich liebe meine jüdischen Propheten, ich liebe meinen Heiland Jesus, und ich liebe meinen Propheten Mohammed. Ich liebe den allmächtigen Gott. Ich liebe die sanften Menschen, und ich hasse all diese Gewaltverbrecher, die im Namen der Religion köpfen, schlagen oder arme Menschen dazu verdonnern, vor Pfaffen niederzuknien und ihre Ringe zu küssen. Es gibt nur eine einzige Majestät, und das ist Gott. Religion ist das verfälschte Wort, das Konstrukt der Pfaffen. Jetzt habe ich Sie niedergepredigt.
Das Interview führte Friederike Lübke.
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Wie Feridun Zaimoglu an seinem Luther-Roman arbeitet
Der muslimische Autor Feridun Zaimoglu beschäftigt sich in seinem neuen Roman mit einer christlichen Person: mit Martin Luther. Im Interview verrät er, warum er eine zeitlang genau wie der Reformator lebte und was ihm an dessen Sprache gefällt.
Friederike Lübke