Kurz nach 18 Uhr. Landschaftspark, Duisburg. Es kommt Bewegung in die Menge. Chorleiterin Vera Hotten darf mit ihrem Chor nochmal den Raum zum Einsingen nutzen. „Das ist super. Wir haben am frühen Nachmittag zum letzten Mal gesungen“, sagt sie. Knapp 80 junge Menschen drängen sich in den Raum.
Der Unity-Chor ist der Chor der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) in Münster. Heute hat er einen außergewöhnlichen Auftritt. Im Landschaftspark findet der Vorentscheid zu „Der beste Chor im Westen“ statt. Der WDR zeichnet die Sendung auf. Zehn Chöre treten an, fünf davon werden ins Halbfinale kommen, das am Freitag, 7. Dezember, um 20.15 Uhr im WDR gesendet wird.
Der Unity-Chor singt das Stück „Seasons of Love“ aus dem Musical „Rent“. Vera Hotten und ihr Chor müssen sich beeilen, die nächsten warten schon vor dem Einsingraum. Die Chorleiterin ist zufrieden. Nur an einer Stelle hat sie etwas anzumerken: „Da schnulzt ihr so richtig rein.“ Und schon geht es wieder rüber ins Nachbargebäude, hinter die Kulisse.
An Biertischgarnituren verteilt sitzen die zehn Chöre. Der kleinste zählt gerade mal sechs Sängerinnen. Der Unity-Chor ist der größte. „Mehr als 80 dürfen es nicht sein“, sagt Vera Hotten, die auch problemlos hundert junge Menschen auf die Bühne hätte bringen können.
18.35 Uhr. In einer knappen Stunde ist es so weit. Die Münsteraner sind die ersten. Die Aufregung hält sich noch in Grenzen. „Wir sind schon seit halb zwei hier“, erzählt David. Es war allerhand los: „Wir mussten das Aufstellen auf der Bühne üben, dann einsingen, der WDR hat Videos gedreht für die sozialen Medien.“
Mit ihm am Tisch sitzen noch weitere fünf Chormitglieder. Sie schwärmen von ihrem Ensemble. „Wir sind ein unkomplizierter Chor. Das macht total Spaß“, sagt Alessa. Sie alle haben Fans mitgebracht, die inzwischen drüben vor der großen Bühne sitzen. „Sogar mein 95-jähriger Opa ist dabei“, sagt Marisa. Auch die Pfarrerin der ESG, Annika Klappert, sitzt im Publikum. Die Truppe unterhält sich darüber, ob sie wohl ins Halbfinale einziehen werden. „Keine Ahnung“, meint Jana. „Wir wissen noch gar nicht, wie die anderen sind. Es macht auf jeden Fall Spaß hier zu sein.“
19.25 Uhr. Die Durchsage. Gleich geht‘s los. Die Zeit verging schnell. „Jetzt bin ich aufgeregt“, sagt Jana. Marisa nickt. Bevor der Chor auf die Bühne kommt, wird ein kurzer Film gezeigt. „Die Aufnahmen dafür haben fünf Stunden gedauert. Jetzt ist es ein nicht mal zweiminütiger Einspieler“, berichtet David. „Unglaublich.“
Der Auftritt. Das Stück darf nicht länger als zwei Minuten sein, hat Vera Hotten vorher erzählt. Da stehen sie, die rund 80 Sängerinnen und Sänger. Die beiden Solisten, Steffen und Jule, mit Mikrofon in der Hand. Sie singen. Bekommen tosenden Beifall. Dann wird es still. Die Jury gibt ihr Urteil ab.
Die Jury besteht aus Giovanni Zarrella, Sänger und Entertainer, Natalie Horler, Frontfrau der Band Cascada, Jane Comerford, Hochschuldozentin für Gesang und Leadsängerin von Texas Lightning, und Rolf Schmitz-Malburg vom WDR Rundfunkchor. Es gibt viel Lob. „Wie ihr das Lied gesungen habe, da fühlte ich mich sofort an einen Sommertag erinnert“, sagt Natalie Horler. Aber auch Kritik kommt: Die Solisten seien aufgeregt gewesen, und der Chor wurde gegen Ende immer höher in der Tonlage.
Der nächste Chor ist an der Reihe. Wieder hinter der Bühne auf ihrem Platz sind die Mitglider des Unity-Chores erst einmal erleichtert, dass sie es hinter sich haben. Die Gefühle sind aber gemischt. Marisa findet die Kritik am nächsten Chor sei viel freundlicher ausgefallen. „Das wird hart für uns.“
20.30 Uhr. Ein Chor nach dem anderen betritt die Bühne. „Ach, wäre schon schön weiter zu kommen“, meint David. „Aber wenn nicht, ist es auch okay.“ Vom Ensemble „Trallafitti“ sind sie begeistert. Auch „Die Erben“ finden sie gut. Marisa stellt eine Theorie auf: „Es sind ein paar ähnliche Chöre dabei. Die Erben sind auch ein großer Chor wie wir. Wahrscheinlich sind das unsere Konkurrenten. Die kommen bestimmt weiter. Wir nicht.“
Die vier Frauen und zwei Männer am Tisch diskutieren darüber, ob nicht ohnehin schon vorher feststeht, wer weiter kommt. „Ehrlich, ich glaub nicht dran“, sagt David. Jana stimmt ihm zu. „Egal. Spaß haben wir trotzdem und wir haben uns als Chor toll entwickelt“, sagt Miriam. Marisa steht auf und geht in die Ecke, wo es Getränke, Obst und Knabbereien gibt. Sie kommt mit Schokolade für alle am Tisch zurück. „Nervennahrung“, sagt sie.
Es ist weit nach 22 Uhr. Endlich kündigt Moderator Marco Schreyl an, die Jury sei zurück. Die Ergebnisse stehen fest. Schreyl nennt immer zwei Chöre, von denen einer ins Halbfinale kommt, der andere nicht. Die Erben sind weiter. „Dann sind wir ja wohl raus“, meint Marisa mit Enttäuschung in der Stimme.
Vier von fünf Halbfinal-Chören stehen bereits fest. Nur noch die Vayrocana Gospelgroup und der Unity-Chor sind übrig. „Dann ist es klar“, sagt David frustriert. „Die anderen waren super.“ Jetzt glaubt niemand mehr an ein Weiterkommen.
Dann Marco Schreyl: „Im Halbfinale sehen wir wieder …“ dramatische Pause – „… den Unity-Chor aus Münster!“
Die Freude kennt keine Grenzen. Die Chormitglieder fallen sich um den Hals. Jeder wird umarmt. Bei etlichen stehen Tränen in den Augen. Manche lassen ihnen freien Lauf. Jubel. „Ich bin platt“, sagt David. „Und glücklich.“