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Wie ein neuer Papst den Kampf gegen Missbrauch stärken kann

Zwei Mal bereits sprachen die in Rom versammelten Kardinäle vor der Papstwahl über das Thema Missbrauch. Die Frage, wie ein neuer Papst mit dem Thema umgeht, treibt sie um. Worauf also kommt es dabei an?

“Missbrauch zerstört menschliche Leben und letztendlich von innen her auch die Kirche”, schreiben Hans Zollner und Peter Beer vom Safeguarding-Institut der Päpstlichen Gregoriana-Universität in Rom. In einem Aufsatz für das Jesuiten-Magazin “America” legen sie Kriterien dar, wie der nächste Papst agieren sollte, um den Kampf gegen Missbrauch wirksam fortzusetzen. Die unter Benedikt XVI. und Franziskus zunächst kleinen, dann zunehmend größeren Schritte müssten energisch weitergegangen werden, fordern Betroffene und wissenschaftliche Experten.

In ihrem Aufsatz verweisen Beer und Zollner auf drei wesentliche Führungskriterien, die bereits 2019 beim Anti-Missbrauchsgipfel des Papstes wie auch bei der Weltsynode 2021 bis 2024 mehrfach benannt wurden: Transparenz, Regelkonformität und Rechenschaftspflicht. Diese seien entscheidend, weil es bei jeder Art von Missbrauch – ob sexuell, psychologisch, physisch oder spirituell – letztlich um Machtmissbrauch gehe.

Zur Transparenz gehört demnach “eine unerschrockene Dialog- und Diskursbereitschaft” mit verständlicher Kommunikation in klarer Sprache. Jedenfalls keine Entschuldigungen, die von kritischen Punkten ablenken und positive Aspekte übertreiben.

Regelkonformität bedeutet, sich an formal erlassene Regeln zu halten und nicht nach eigenem Gusto zu entscheiden. Gerade hier, so Zollner und Beer, seien “Disziplin und ein grundsätzlich positives Verständnis von Struktur und Ordnung gefragt”.

Zur Rechenschaftspflicht schließlich gehört nicht nur die Bereitschaft, Verantwortung für eine Angelegenheit zu übernehmen, sondern zu erklären und nachzuweisen, was, wie, warum und zu welchem Zweck entschieden und getan wurde. Gleichzeitig verweisen die beiden Theologen auf die vier klassischen Kardinaltugenden: Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mäßigung und Klugheit.

Gerechtigkeit im Umgang mit Missbrauch heißt: sich für die Schwachen und Verletzlichen einsetzen und denjenigen Grenzen setzen, die jenen Schaden oder Nachteile zufügen wollen. Dazu, so Beer auf Nachfrage, müssten vor allem bestehende Regeln konsequenter eingehalten werden. Auch sollte die Rolle von Betroffenen in kirchenrechtlichen Verfahren noch gestärkt werden.

Tapferkeit gegen Missbrauch sei indes die Fähigkeit, sich den dunklen Seiten der Welt auch in der Kirche zu stellen und “offen darüber zu sprechen, ohne sich hinter frommen Phrasen zu verstecken”. Der neue Papst sollte daher mit Widerständen umgehen können und bereit sein, notwendige Veränderungen in Angriff zu nehmen.

Mäßigung im Umgang mit dem Thema Missbrauch bedeutet nach Auffassung der beiden Experten nicht, Emotionen zu verdrängen oder zu bagatellisieren. Das neue Kirchenoberhaupt müsse sich aber des Unterschieds zwischen Mäßigung und Beschwichtigung bewusst sein. Es gehe darum, prozessorientiert zu handeln; sanft in der Art, entschlossen in der Sache. Sturheit, die alles sofort will, sollte dem neuen Kirchenoberhaupt ebenso fremd sein wie Unentschlossenheit, die alles Unangenehme in eine unbestimmte Zukunft verschiebt.

Die Tugend der Klugheit indes weiß um die multikulturellen Aspekte beim Thema Missbrauch. Entscheidende Parameter – festzumachen an Schlüsselbegriffen wie Familie, Sexualität, Autorität, Ehre, Geschlechterrollen – sind stark vom jeweiligen Kontext abhängig. “Der Papst sollte sich dieser Unterschiede innerhalb der Weltkirche bewusst sein”, so Beer und Zollner.

Und weil es nicht allein auf den Papst und seine Kurie ankommt, müssten Weltkirchenverwaltung, Bischofskonferenzen und Bistümer besser zusammenarbeiten, fordert Beer. Alle Ebenen seien kohärent zu vernetzen – auch damit Verfahren nicht zu lange dauern. Schließlich muss die gesamte Kirche das Engagement mittragen. In einem “Brief an das gesamte Volk Gottes” zum Thema Missbrauch im Sommer 2018 schrieb Papst Franziskus, es sei “nötig, dass jeder Getaufte sich einbezogen weiß in diese kirchliche und soziale Umgestaltung, die wir so sehr nötig haben”.

Das brachte ihm damals den Vorwurf ein, für die Verbrechen von Klerikern alle Gläubigen in Haftung zu nehmen. Inzwischen aber zeigen Untersuchungen, wie auch das unmittelbare Umfeld in Pfarrgemeinden oder Schulen Verdachtsmomente oder gar Wissen um Missbrauch nicht wahrhaben wollte.