Von Anna-Nicole Heinrich
Am Reformationstag wird er wieder vielerorts bemüht werden: der Ausspruch von der ecclesia semper reformanda. Der Kirche, die sich permanent verändern muss. Und um alle zu motivieren, wird dann auch gern mal Hermann Hesse zitiert: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“
Am nächsten Morgen – noch verzaubert – liegen wir dann alle im Bett und träumen von einer Kirche, die aufbricht, die neue Räume erschließt, die mutig ist und voran- geht. Eine Kirche, die Risiken eingeht und ohne Angst in die Zukunft blickt. Ecclesia semper reformanda, die Kirche muss sich immer verändern. Und das stimmt ja auch, es muss sich was ändern.
„Die Kirche muss“ – ja klar, aber sie kann nicht allein. Sie braucht den lebendigen Gott, der erneuert und transformiert. Sie braucht die Christ*innen, die Mut haben und gestalten. Nur wo sollen wir anfangen? Was verändern? Sind wir bereits aufgebrochen oder liegen wir eigentlich noch im Bett und prokrastinieren?
So ein Bett ist halt schon echt bequem. Da ist’s meistens ruhig, was um einen herum passiert, ist erwartbar, das Verletzungsrisiko ist eher gering und je nach Bettgröße, kann man ja auch auf den zwei bis vier Quadratmetern nicht nur auf dem Rücken liegen, sondern auch Nahrung zu sich nehmen, Serien schauen und die Liegeposition ändern, damit man keine Rückenschmerzen bekommt.
Dabei gibt es zwei Arten von Sachen, die man mit solch einem Verhalten aufschiebt: Das eine sind Sachen, die man gut kennt, aber einfach ungern macht. Und das andere sind Sachen, die unbekannt sind und bei denen man unsicher ist, ob es gelingt, ob es lohnt, ob es funktioniert. Doch wir wissen alle: Ewiges Aufschieben geht nicht, da muss man raus, man muss die Dinge gezielt angehen.
Diesen Sommer war für mich die #Präsestour ein Beispiel dafür. Die Idee war es, Neues zu erkunden, „raus aus der Bubble hinein in den Schaum“, einen Monat lang unterwegs, abseits der kirchlich gut erkundeten Pfade und Formate. Eine gute Idee, die ich dann auch erst eine Weile vor mir hergeschoben habe, die immer wieder Überwindung gekostet hat. Raus aus den bequemen Semesterferien, einfach mal unterwegs sein, hoffnungsvoll, risikobereit und auf der Suche. Mit vielen Fragen, wenigen Antworten und einem Schlafsack im Gepäck.
Jeden Tag gab’s neue Begegnungen und immer wieder die Möglichkeit, in die Lebenswelt Anderer einzutauchen. Jeden Tag spannende Orte und Projekte, mutige Menschen, ein neuer Schlafplatz. Das Unterwegs-Sein war das Ziel – Stillstand und erst recht Prokrastination waren nicht vorgesehen – wie bei der ecclesia semper reformanda.
So ein Aufbruch ist leichter gefordert als umgesetzt. Denn wie bei einer Entdeckungstour ist eben im Vorhinein nicht klar, was dabei herauskommt. Denn so ein Aufbruch heißt auch jeden Tag aufs Neue, die Komfortzone, das gemütliche Bett, zu verlassen und nicht zu wissen, an welchem Ort man landet, den Schlafsack wieder ausrollen kann. Heißt, sich immer wieder auf neue Menschen einzustellen, heißt, immer wieder neue Orte und Netzwerke zu erkunden und manchmal auch Abschied zu nehmen von bekannten Gewohnheiten. Das gelingt nicht mit vorgefertigten Antworten, sondern mit Neugier, Zuversicht und der Bereitschaft für Improvisation. Denn an manchen Tagen ist die Wäsche halt noch längst nicht wieder getrocknet, aber man muss ja trotzdem weiterziehen. Ist „die Kirche“ schon aufgebrochen? „Die Kirche“, das sind wir alle.
Menschen brechen auf. In Kirche und um Kirche herum. An ganz vielen Stellen. Es gibt Mut, Neues zu erkunden, das Sehnen nach Veränderung, den Willen, Verantwortung für Transformationsprozesse zu übernehmen. Und am Ende sind es doch nicht die Menschen allein, die Kirche verändern. Wir können darauf vertrauen: Gott geht dabei voran, jeden Tag aufs Neue.