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Wer passt in welche Kirche?

Die Neubesetzung einer Pfarrstelle ist eine große Sache für die ehrenamtlichen Gemeindeleitungen. Gut, wenn es Hilfe gibt

Eine Pfarrerin verlässt nach Jahrzehnten ihre Gemeinde. Wer soll ihr nachfolgen? – Eine Pfarrstelle soll in Zukunft auf zwei Gemeinden aufgeteilt werden. Wie soll das Konzept dafür aussehen? – Nach der Pensionierung eines Pfarrers bleibt eine zerstrittene Gemeinde zurück. Wie kann die Pfarrwahl gut organisiert werden? Für solche Fälle bietet die Evangelische Kirche von Westfalen (EKvW) den „pastoralen Dienst im Übergang“ an.

Über 33 Jahre lang war Martin Behrensmeyer Pfarrer in einer Gemeinde im Sauerland. Dann kam eines Tages eine Anfrage aus dem Landeskirchenamt in Bielefeld: Pastoraler Dienst im Übergang – könnten Sie sich das vorstellen? Behrensmeyer musste nicht lange überlegen. „Nach so vielen Jahren in der Gemeindearbeit hatte ich nicht mehr dieses Feuer“, sagt der heute 63-Jährige. „Da war es eine tolle Möglichkeit, mein gesammeltes Wissen noch mal an anderer Stelle einzusetzen.“ Bereits ein halbes Jahr nach der Anfrage fand er sich in der Versöhnungsgemeinde in Iserlohn am Rande des Ruhrgebiets wieder. Seither hat er zwei Gemeinden betreut und mit Jahresbeginn 2022 in der dritten seinen Dienst angetreten.

Beratung und Vakanzvertretung

Beim Pastoralen Dienst im Übergang (PDÜ) geht es kurz gesagt darum, eine Gemeinde bei der Neubesetzung einer Pfarrstelle zu unterstützen und sie zudem in der Vakanzzeit pastoral zu versorgen. Die Rahmenbedingungen werden zuvor zwischen Gemeinde und Kirchenkreisleitung festgelegt; dazu können etwa Gemeindefusionen oder Pfarrstellenreduzierungen gehören. Die Pfarrerin oder der Pfarrer im PDÜ soll dann dabei helfen, das gewünschte Profil einer Pfarrstelle herauszuarbeiten, eine Ausschreibung zu formulieren und den Wahlprozess zu begleiten.

Die Idee stammt aus der US-amerikanischen Partnerkirche der EKvW, der United Church of Christ. Dort ist es üblich, ein Interims-Jahr einzuschieben, bevor eine Pfarrstelle neu besetzt wird. So kann die Gemeinde Abschied von einer vertrauten Person nehmen, ihre Ausrichtung neu klären und dann gezielt nach einer Pfarrerin oder einem Pfarrer suchen.

Für Westfalen wurde dieses Konzept etwas abgewandelt, wie Michael Westerhoff aus dem Personaldezernat der EKvW erklärt: Hier ist es in der Regel ein Superintendent oder eine Superintendentin, die einer Gemeinde den Vorschlag machen, den PDÜ in Anspruch zu nehmen. „Fast immer sind die Anfragen mit Strukturveränderungen verbunden“, sagt Westerhoff. „Der Gemeinde muss dabei klar sein, dass es sich nicht einfach um eine bequeme Vertretungslösung handelt, sondern dass es um einen Beratungsprozess mit einem klaren Ziel geht.“

Die gesammelte Berufserfahrung nutzen

Westerhoff ist zuständig für das Team der Pfarrerinnen und Pfarrer, die für diesen speziellen Auftrag zur Verfügung stehen. Acht Personen gehören im Moment dazu. Alle haben neben langjähriger Gemeindeerfahrung zusätzliche Qualifikationen im Bereich von Beratungsprozessen oder Leitungsfunktionen. Der Theologe ist überzeugt davon, dass ihr Erfahrungsschatz den Gemeinden im Prozess einer Pfarrstellenneubesetzung zugutekommt. Neben der Beratungsarbeit sieht er die Pfarrerinnen und Pfarrer seines Teams dabei auch als geistliche Begleiter, die Veränderungen theologisch und seelsorglich unterstützen.

Wichtig dabei: Wer eine Gemeinde im PDÜ berät, darf sich hinterher nicht auf die Pfarrstelle bewerben. „Das ist ganz entscheidend, weil es den Rücken freihält“, hat Martin Behrensmeyer im Laufe seiner Beratungsarbeit festgestellt. „Damit war klar, dass ich mir kein eigenes Nest baue, sondern mit innerer Freiheit auf die Gemeinde schauen kann.“

Rund die Hälfte seiner Stelle war mit der Vakanzvertretung ausgefüllt; mit der anderen Hälfte widmete er sich der Beratung des Presbyteriums. Ein Balanceakt, der sich als nicht immer ganz einfach erwies. „Gerade in der ersten Zeit musste sich das in der Gemeinde noch einspielen und bei mir selbst auch“, erzählt Behrensmeyer. „Ich habe mir immer wieder die Frage gestellt: Wie viel Nähe ist gut – und was lenkt eher ab?“

Als hilfreich empfindet der Pfarrer, dass er während der Zeit des PDÜ nicht in der Gemeinde wohnen muss. „Abgesehen davon, dass es aufwändig wäre, für nur ein Jahr umzuziehen, schafft ein anderer Wohnort innere und äußere Distanz“, sagt Behrensmeyer.

Der unvoreingenommene Blick ist vor allem dann hilfreich, wenn es um Konflikte geht; und die brechen fast automatisch auf bei der Formulierung eines Gemeinde- oder Pfarrstellenprofils. Auch solche, die schon lange schwelen, aber nie offen ausgesprochen wurden. Martin Behrensmeyer erinnert sich an das erste Gespräch in einem Presbyterium, bei dem der Ton zwischen Pfarrer und Presbyteriumsvorsitzenden immer schärfer wurde. „Die haben beide versucht, mich auf ihre Seite zu ziehen“, analysiert er im Rückblick. Der langwierige Konflikt innerhalb des Leitungsgremiums kam dann als erstes auf die Tagesordnung; erst danach ging es wirklich um die Ausschreibung der neuen Stelle.

Zu wenig Austausch in der Kirche des Wortes

„Es ist verrückt – wir nennen uns Kirche des Wortes, aber wir tun uns oft ganz schwer damit, uns offen miteinander auszusprechen“, sagt Behrensmeyer. Für die Beratungen in einer seiner PDÜ-Gemeinden schrieb er jedes Mal Regeln für die Gesprächsführung auf ein Flipchart. „Das klingt zwar nach Grundschule, ist aber wirklich hilfreich, auch für Erwachsene“, sagt er.

Neben den Vorteilen, die seine Rolle als von außen hinzukommender Moderator bietet, sieht sich Behrensmeyer aber auch mit manchen Vorbehalten konfrontiert. „Manche vermuteten in mir quasi einen Agenten der Landeskirche, der einen versteckten Auftrag erfüllen sollte“, formuliert er mit einem Augenzwinkern. „Dass ich einfach nur komme, um so neutral wie möglich zu beraten, konnten sie sich kaum vorstellen.“

Ähnlich hat es Pfarrerin An­drea Auras-Reiffen erlebt. Seit Mai 2021 begleitet sie eine Gemeinde im Kirchenkreis Hattingen-Witten bei der Neubesetzung einer Pfarrstelle. „Ich glaube, es gibt bei den Leitungsgremien schon das Gefühl: Da guckt jemand ganz genau hin“, sagt sie. „Und ehrlich gesagt: Das ist ja auch so. Aber nicht, um von oben zu kontrollieren, sondern um die Dinge zu betrachten und zu bündeln.“

Gut, wenn Dinge ausgesprochen werden

Der Gemeinde, die sie gerade begleitet, hat dieser analytische Blick bereits geholfen – wobei Andrea Auras-Reiffen betont, dass ihr besonders die Vertretungsdienste ein Gefühl dafür geben, was in der Gemeinde besonders wichtig ist. Zwei Schwerpunkte fielen ihr auf: die hohe Zahl der Beerdigungen und die der Geburtstagsbesuche bei älteren Gemeindegliedern. „Als wir das zusammen betrachtet haben, wurde schnell klar: Beerdigungen muss man machen – aber die vielen Besuche gehen einfach nicht mehr.“

Also wurden die Besuche aus dem Aufgabenkatalog für die Pfarrstelle gestrichen, und die Gemeinde will andere Möglichkeiten ausprobieren: Briefe mit einem Besuchs-Angebot oder auch ein Besuchsdienst. Einen Konflikt gab es bei dieser Entscheidung nicht, sagt Auras-Reiffen. „Ich glaube, es war dem Presbyterium schon vorher klar, dass an dieser Stelle etwas verändert werden muss – es musste einfach nur ausgesprochen werden.“ Eine Beobachtung, die sie mehrmals gemacht hat: „Das ist an vielen Stellen so: Eigentlich weiß man, wo die Lösung ist, aber man braucht jemanden, der die Optionen klar auf den Tisch legt.“ Dann, so die Pfarrerin, sei die Entscheidung viel leichter zu treffen.

Der Aufwand lohnt sich

Nach einigen Jahren mit dem Angebot des Pastoralen Dienstes im Übergang sind die Erfahrungen bei den Gemeinden wie bei den Beratenden ganz überwiegend positiv, erklärt Michael Westerhoff vom Personaldezernat. „Wir haben das evaluiert und festgestellt, dass die Ziele zu 80 bis 90 Prozent erfüllt wurden.“ Schwierigkeiten gebe es vor allem dort, wo die Absprachen im Vorfeld zu ungenau waren.

„Ob man nach diesem Prozess dann tatsächlich die Person findet, die man sich wünscht, hat man natürlich nicht in der Hand“, gibt Westerhoff zu – zumal die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber immer kleiner werde. Aber der Aufwand für die Vorbereitung der Ausschreibung lohne sich trotzdem, für die Landeskirche und für die Gemeinde, so der Theologe: Für die Gemeinde sei der PDÜ-Prozess ein Qualitätsmerkmal, mit dem sie bei den Bewerbern punkten könne, weil ein Neustart durch die gründliche Vorarbeit erleichtert werde. Und auch für die Landeskirche sei es wichtig, dass Bewerbungsverfahren zu einem guten Ende kämen: „Wenn die falsche Person in eine Pfarrstelle gewählt wird, ist das teuer – finanziell wie emotional. Der PDÜ-Prozess senkt das Risiko dafür; er ist eine gute Investition.“