Greifswald. „Sie müssen mal gucken kommen, wir haben oben an der Wand eine Fratze entdeckt“, hatte Pastorin Ulrike Schäfer-Streckenbach von St. Marien zu Hans-Jürgen Schumacher gesagt. So etwas lässt der Buchautor sich nicht zweimal sagen!
Tatsächlich war bei Bauarbeiten in 20 Meter Höhe an der Ostwand unter einer Farbschicht der Seitenriss eines verschrobenen Bärtigen hervorgetreten, und dazu ein fischbeschupptes Vogelwesen mit Entenschnabel und Greifklauen. Sie sind unscheinbar, diese kindhaften Strichzeichnungen – fast nur Wasserzeichen. Doch Schumachers Fantasie gaben sie Flügel. Dank dieser ist nämlich die Fratze inzwischen über Fernsehleinwände geflimmert und zur Hauptgestalt eines historischen Romans geworden.
Malerei etwa 700 Jahre alt
Doch von vorn. Zuerst befragte Schumacher den Greifswalder Bauhistoriker André Lutze, wie und wann die Fratze in diese schwindelnde Höhe gemalt worden sein könnte – aus wissenschaftlicher Sicht. „Die Zeichnung muss aus der Bauzeit stammen“, meinte er. Sie sei auf die erste weiße Ausmalung gekritzelt worden und also 700 Jahre alt. Aber dann geht es auch schon mitten hinein ins Reich der Interpretation. Könnte es eine Art mittelalterliches Graffiti sein? Heimlich hingeschmiert? „Es wird vermutet, dass sich ein schlecht bezahlter wütender Gastarbeiter Luft gemacht hat“, sagt Schumacher. Aber vielleicht war ja auch alles ganz anders!?
Schumacher stellt seine Handlung in einen historischen Kontext. Er hat sich lange mit der Geschichte der Stadt beschäftigt und viel Interessantes von Lutze erfahren – zum Beispiel, dass im Turmportal von St. Marien früher Gericht gehalten wurde. „Das Buch ist so auch eine Reise in die Kinderstube der Stadt geworden. Greifswald war gerade 75 Jahre alt. Die großen Kirchen entstanden erst“, erzählt er begeistert. In das Jahr 1325 hinein pflanzt er den Roman rund um die Fratze und füttert ihn an mit detailreichen Beschreibungen örtlicher Begebenheiten und historischen Bezügen. „Es ist beim Schreiben beinahe durchgegangen mit mir“, erzählt er lachend – der Leser wird es spüren. Mitte April rückte dann der NDR mit einem Drehteam an, um einen Bericht für das Nordmagazin über die Fratze von St. Marien, das Buch und den Autor in den Kasten zu kriegen. „Wir haben die Geschichte natürlich stark zusammengefasst“, sagt Rebecca Bahr vom NDR.