Von Harald Geywitz
Ein Schatz ist unser Evangelisches Gesangbuch. In schweren Zeiten von Abschied und Trauer zur Hand genommen, finde ich Trost in Vertrautem und entdecke manches neu oder sehe es zumindest in neuem Licht. Doch auch in guten, hellen Tagen hält das Gesangbuch vieles bereit, was Herz, Seele und Verstand anspricht. Ob gesummt, gebrummt, gesungen oder gebetet. Die Lieder und Texte übersetzen die frohe Botschaft in eine eigene Sprache von Lyrik und Musik. Der gefühlte Klassiker „Vertraut den neuen Wegen“ ist gar nicht so alt und doch gehört das Lied wohl zu den meistgesungenen in unseren Gemeinden. Entstanden für eine Hochzeit 1989, hat es in den Zeiten der Friedlichen Revolution schnell Verbreitung gefunden. Es traf den Ton der Zeit, viele Türen gingen auf und hinaus ins Weite sollte es gehen.
Viele, die heute Verantwortung für unsere Kirche tragen, haben die großen Veränderungen mit und nach der Friedlichen Revolution miterlebt und vielerorts prägt diese Erfahrung bis heute. Es waren Erfahrungen des Aufbruchs, beglückend, befreiend und manchmal enttäuschend, misslungen. Doch allezeit getragen von einem dreifachen Vertrauen: vom Vertrauen auf die eigene Kraft, auf die Kraft der Gemeinschaft und auf Gott.
Zur Konstituierung unserer Fünften Landessynode tauchte das Lied im Eröffnungsgottesdienst mit Potsdams Generalsuperintendent Kristóf Bálint auf. Gemünzt auf den Beginn einer Synode, gerade in dieser schwierigen Zeit der Pandemie leuchtete das Wort vom Aufbruch, der uns hoffen lässt, hervor.
Hoffnung wird verheißen, die durch Aufbruch entstehen soll. Heißt das etwa: Mach dich mal eben auf den Weg und alles wird gut? Nein, denn es geht nicht um platten Optimismus. Es geht um Hoffnung, die gegründet ist und auch um eine zeitliche Perspektive. Hoffen in Zeit und Ewigkeit, heißt es da. Im Augenblick, im Jetzt und Hier mit all unseren menschlichen Vorhaben dürfen wir hoffen, aber eben auch mit der Perspektive der Ewigkeit, die unseren menschlichen Verstand übersteigt.
Es steckt viel in der Liedzeile „Wer aufbricht, der kann hoffen“ und das Lied von Klaus Peter Hertzsch erinnert uns an eine Grundhaltung unseres christlichen Glaubens: vertrauensvoll neue Wege gehen, nicht stets nur das tun, was immer richtig war, sondern Wagnisse eingehen, um auf Gottes Weg zu bleiben. Denn manchmal führen uns die eingetretenen Pfade weiter weg vom Ziel.
Der scheinbare Widerspruch zwischen einem starken Fundament und dem flatterhaften und immer ungewissen Aufbruch, der womöglich schief gehen kann, der löst sich bei näherer Betrachtung auf. Das eine wird uns ohne das andere nicht gelingen. Gerade weil wir vor der doppelten Herausforderung stehen, die Erfahrungen der Pandemie zu verarbeiten und gleichzeitig den strukturellen Wandel durch schwindende Mitgliederzahlen und finanzielle Mittel zu meistern, brauchen wir das starke Fundament unseres Glaubens. Doch die Änderungen, die sich durch diese Herausforderungen ergeben, machen einen Aufbruch notwendig.
Wenn wir genau hinschauen, sehen wir: Wir sind bereits aufgebrochen. Gottesdienste als Videostream, Konfirmandenunterricht per Webkonferenz, Anleitungen für Hausandachten, Gremiensitzungen am Arbeitsplatz zu Hause statt im Gemeindesaal.
„Die Zukunft ist sein Land“, heißt es im Text. Auf die Zukunft richtet sich unsere Hoffnung. Heute brechen wir dorthin auf. Doch wie erreichen wir diejenigen, die zu schwach für einen Aufbruch sind oder die ihre Hoffnung verloren haben? Wie gewinnen wir die neue Generation, uns auf diesem Weg zu begleiten? Die Antwort liegt in unserer Gemeinschaft und der Kraft, die daraus erwächst.