Predigttext
1 Und Jesus ging aus dem Tempel fort, und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels. 2 Er aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem anderen bleiben, der nicht zerbrochen werde. 3 Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm und sprachen, als sie allein waren: Sage uns, wann wird das geschehen? Und was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt? 4 Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Seht zu, dass euch nicht jemand verführe. 5 Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen. 6 Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn das muss so geschehen, aber es ist noch nicht das Ende da. 12 Und weil die Ungerechtigkeit überhand nehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten. 13 Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden.
Als Matthäus Jesu Worte niederschrieb, war Jerusalem längst ein Trümmerhaufen. Kein Stein war auf dem anderen geblieben. Mit eigenen Augen konnten die Menschen das sehen. Und es war mehr zerstört als Mauern und Häuser. Das irdische Unterpfand von Gottes Zuwendung war in Schutt und Asche gelegt. Aber die Gemeinden im Umfeld des Evangelisten hatten auch erlebt, dass sie am Leben geblieben waren. Sie waren davongekommen. Noch einmal.
Viele andere Generationen haben später Ähnliches sagen können: Wir haben die Katastrophe überlebt.
Die Frage nach dem Wann bringt eben nicht weiter. Das haben die Jünger noch nicht verstanden. Das, was Jesus aufzeigt, sind Szenarien, die sich praktisch in jeder Generation der Weltgeschichte ereignen. Erdbeben, Vulkanausbrüche, Trockenzeiten, Seuchen wie die Pest oder Aids haben ganze Regionen entvölkert. Und erst die vom Menschen selbst verursachten Vernichtungen, die mit den Namen Hiroshima und Stalingrad, mit Dresden und Coventry, mit Auschwitz und Buchenwald, in diesem Jahr mit Aleppo und Mossul verbunden sind! Da sind Welten untergegangen und tun es bis heute.
Für die Betroffenen in diesen Brandherden war die Frage nach dem letzten Ende der Welt nicht mehr wichtig, sie stellte sich nicht mehr. „Kriegsspuren“ – wie es in der Friedensdekade formuliert wurde – sind ein Merkmal menschlicher Geschichte. Der Mensch allein hat überhaupt die Fähigkeit, Krieg zu führen, kein anderes Geschöpf.
Aber Prophetie ist keine Vorhersage, aus der man ableiten kann, nach welchem Fahrplan die Weltgeschichte läuft. Alle Versuche, Daten vorauszuberechnen, sind blamabel gescheitert. Propheten warnen und zeigen drastisch und klar die Konsequenzen auf, die menschliches Handeln hat. Wenn ein Krieg lange vorher in den Herzen der Menschen begonnen hat, dann bricht er irgendwann auch aus.
Kriege fallen nicht vom Himmel, im Gegenteil: Nach Gottes Willen sollen sie nicht sein! Sie wachsen langsam von einer zunächst unmerklichen Verhärtung über die Angst in den Hass bis zur tätigen Gewalt. Aber es stimmt eben auch das andere: Lange bevor der Frieden Wirklichkeit werden kann, muss er in den Herzen der Menschen begonnen haben.
Darum stellt sich die andere Frage immer wieder neu: Werden wir Menschen daraus lernen? Endlich? Wird in unseren Herzen der Frieden gesät und kann er da wachsen?
Darauf läuft es auch im Evangelium hinaus: In der Rede Jesu über die Endzeit (Kapitel 24 und 25) wird das Wort „Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden“(24,13) erläutert. Im Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen etwa, den anvertrauten Zentnern noch deutlicher und präzise und praktisch im Gleichnis vom Weltgericht: Was ihr getan habt diesen meinen geringsten Geschwistern, das habt ihr mir getan. Oder viel schlimmer: Nicht getan!
Das Wort „beharrt“ hat auch die Bedeutung von „durchhalten, standhalten“, meint eher nicht ein Wegducken, auch wenn alle diese Varianten von aktivem bis zum duldenden Widerstand in den Katastrophen der jüngeren Geschichte durchgemacht worden sind.