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Von Rothenburg bis Rottenburg

Bis heute gibt es zahlreiche Zeugnisse mittelalterlicher Pilgerrouten. Etwa Jakobuskirchen, wie sie in Tübingen oder Oppenweiler stehen. Berichte von früheren Pilgerherbergen, etwa in Schwäbisch Hall, wo bis ins 18. Jahrhundert ebenfalls eine Jakobskirche stand. Aber auch Jakobsaltäre, Jakobsbrunnen sowie Klöster gehören dazu.

Ein Gründungsteam hat aufgrund dieser historischen Vorgaben einen Weg zwischen Rothenburg ob der Tauber und Rottenburg am Neckar zusammengestellt, der den Jakobspilgern von heute gerecht wird. In der Winnender Schlosskirche mit ihrem über 500 Jahre alten Jakobusaltar wird am 28. Juli (Sonntag) das 20-jährige Jubiläum des Pilgerweges begangen – mit einem Festgottesdienst und anschließender Pilgerwanderung von Winnenden nach Endersbach.

Zu den Initiatoren für den Pilgerweg aus der Winnender evangelischen Kirchengemeinde gehört Hans-Jörg Bahmüller. Er erstellt als Informatiker Dokumentationen im Internet und GPS-Tracks. Außerdem betreibt er einen Kleinverlag mit Pilgerführern für die Region. Von den zwölf Euro pro Buch bleibt laut Bahmüller neben der Kostendeckung noch etwas Gewinn übrig, um die Beschilderung zu finanzieren. „Es gibt inzwischen über hundert Jakobswege in Deutschland – das ist fast schon inflationär“, erklärt der Winnender. „Wichtig ist aber, dass so ein Weg auch kontinuierlich gepflegt wird, dass eine gute Infrastruktur da ist. In unserem ortsübergreifenden Jakobsweg-Team kümmern sich 25 Ehrenamtliche abschnittsweise um die Wegpflege und kontrollieren regelmäßig die Beschilderung.“

Von entscheidender Bedeutung sind überdies geeignete Übernachtungsmöglichkeiten, die im Internet und im Pilgerführer gelistet sind – am besten private, weiß das ökumenische Jakobsweg-Team. Viele der mittlerweile etwa 60 ehrenamtlichen Gastgeber pilgern selbst oder haben Angehörige, die damit Erfahrung haben. „Wir sind jedes Jahr in unserem Urlaub etappenweise 10 bis14 Tage lang jeweils 20 bis 25 Kilometer unterwegs“, erzählen Ralf und Martina Wallau aus Murrhardt (Rems-Murr-Kreis). „Privatunterkünfte bevorzugen wir immer und freuen uns an den netten Begegnungen am Abend. So haben wir uns entschieden, auch für andere ein offenes Haus zu haben.“

Pilgern soll nicht teuer sein. Viele Gastgeber verlangen nichts oder stellen ein Spendenkässle auf. Mehr als 15 Euro sollte die private Übernachtung, die einfach sein darf und zu der die meisten ein Frühstück anbieten, nicht kosten, heißt es in den Richtlinien des Jakobwegteams. Ein junger Mann auf der Suche nach sich selbst, Freundinnen, die gemeinsam wandern, Pilgern als Schwellenritual für Männer, die in den Ruhestand gehen – es gibt viele Beweggründe fürs Pilgern.

Die Pilgerunterkunft „Pilger’s Paradise“ liegt in Backnang, etwas abseits von der Route, weshalb Paul Engert seinen Gästen anbietet, sie mit dem Auto abzuholen. Vier Matratzen warten dort auf Pilger. Im Garten darf sich Andrea Schilling aus der Nähe von Heidelberg ausruhen. Gleich wird Christa Engert das Abendessen servieren.

Schilling entdeckte das Pilgern aus der Not heraus: Eine neue Partnerschaft mit chaotischer Patchworksituation und eine Vollzeitstelle im Krankenhaus – der medizinisch-technischen Radiologieassistentin war 2008 alles zu viel. So begann sie mit dem Pilgern auf der Via Regia, dem 470 Kilometer langen Weg zwischen Görlitz und Vacha. „Seitdem bin ich infiziert. Es ist wie ein Reset-Knopf, um wieder zu mir selber zu finden“, sagt die 61-Jährige. Sie hat über ihre langjährigen Erfahrungen auf dem ostdeutschen Jakobsweg ein Buch geschrieben hat und pilgert nun zum ersten Mal zwischen Rothenburg und Rottenburg.

Auch Schilling bevorzugt Privatunterkünfte – in Schwäbisch Hall habe sie allerdings bei sieben möglichen Gastgebern kurzfristig niemanden erreichen können oder eine Absage bekommen, sodass es dann doch die Jugendherberge geworden sei. Umso schöner sind Erfahrungen des Vertrauens: die Gastgeberin, die sagt: „Klingeln Sie und falls niemand aufmacht, gehen Sie ums Haus. Dort ist eine Tür, in der der Schlüssel steckt. Gehen Sie einfach rein.“ Rückfrage der Pilgerin: „Und was ist, wenn ich was klaue?“ – „Was wollen Sie denn klauen? Das müssten Sie doch alles im Rucksack schleppen“, so die heitere Antwort der Gastgeberin. (1364/19.06.2024)