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Vom wilden Rockgitarristen zum Minnesänger

Die E-Gitarre ruht meist im Koffer, die phonstarken Marshall-Verstärkertürme sind längst abgeschafft. Ritchie Blackmore tritt am liebsten nur noch auf mittelalterlichen Schlössern und Burgen auf. Der schwarz gelockte Gitarrist, der in den 1970er Jahren mit seinen Bands „Deep Purple“ und „Rainbow“ die harte Rockmusik mitprägte, hat sich zu einer Art neuzeitlichem Minnesänger gewandelt: Angetan mit Wams und engen Strumpfhosen spielt er auf der Laute heute Folklorerock im Stil der Renaissance-Musik des 16. Jahrhunderts.

Dabei galt Blackmore, der am 14. April 80 Jahre alt wird, lange als Archetypus des wilden und etwas geheimnisvollen Rockgitarristen. Immer in Schwarz gekleidet, hob der frühere Sessionmusiker vor mehr als einem halben Jahrhundert das Spiel auf der elektrischen Gitarre auf ein höheres Niveau: Er verband Blues und Rock mit klassischen Elementen. Für viele Nachfolger im Hardrock und Heavy Metal ist er ein Vorbild.

„Black Night“, „Highway Star“, „Speed King“, „Child in Time“, „Burn“: Mit ultraschnellen Solopassagen, harten Riffs und einem aggressiven und höllisch lauten Sound setzte Blackmore eine Marke. Beeinflusst war der exzentrische Künstler, der auf der Bühne auch hin und wieder sein Instrument zerschlug, vom Bluesrock der Gitarristen Jimi Hendrix, Jeff Beck und Eric Clapton. „Wir haben das einfach ein bisschen ‘heavier’ gespielt – und es funktionierte“, erinnert er sich einmal in einem Interview.

Die Essenz seines Schaffens ist der Klassiker „Smoke on the Water“ aus dem Jahr 1972, den er gemeinsam mit seinen kongenialen „Deep Purple“-Kollegen Ian Gillan (Gesang), Roger Glover (Bass) und Jon Lord (Orgel) schrieb. Der Song, der einen Casino-Brand im schweizerischen Montreux am Genfer See und eine dort geplatzte Schallplattenaufnahme beschreibt, ist eine Hymne der Rockmusik. Die treibende Akkordfolge mit ihrem „Da, da, da“ wird besonders von Anfängern auf der Gitarre ausgiebig gespielt.

Blackmore, der 1945 im südwestenglischen Ferienort Weston-super-Mare geboren wurde und mit elf Jahren mit klassischer Gitarrenmusik begann, gilt als schwieriger Charakter und Einzelgänger. Berüchtigt ist die handfeste Rivalität mit Ian Gillan, seinem langjährigen Bandkollegen. Dem Sänger, der für das Album zur Rockoper „Jesus Christ Superstar“ (1970) die Stimme von Jesus Christus übernahm, drückte er im Streit einmal einen Teller Spaghetti ins Gesicht. „Er war ein Alphatier und ich auch. Er wollte die Kontrolle, so wie ich“, rechtfertigte sich Blackmore.

Die emotionalen Spannungen führten bei „Deep Purple“ indes zu kreativen Höchstleistungen. Gitarrist Blackmore, der meist eine weiße Fender-Stratocaster spielte, und Organist Lord lieferten sich auf ihren Instrumenten minutenlange „Duelle“ – zur Begeisterung der Hörerschaft. Frisch klingen noch immer die Alben „Deep Purple in Rock“ (1970) und das grandiose Doppel-Livealbum „Made in Japan“ (1972). Es zeigt Blackmore auf der Höhe seiner Kunst.

Der Musiker konnte aber erst 1975 nach seinem Ausstieg bei „Deep Purple“ vollkommen seinen eigenen Kopf durchsetzen: Die Band „Rainbow“ mit dem stimmgewaltigen US-amerikanischen Rocksänger Ronnie James Dio und mehreren Nachfolgern war ganz sein Geschöpf. „Man on the Silver Mountain“, „Catch the Rainbow“, „Long Live Rock’n’Roll“ heißen etwa die Songs, in denen sich der Gitarrist ungehindert ausleben konnte.

1984 kam „Deep Purple“ noch einmal zusammen. Viel beachtet war das Comeback-Album „Perfect Strangers“, mit dem sich die Band gegenüber jüngeren Gruppen behauptete. 1993 kehrte Blackmore seinen Mitmusikern dann aber im Streit endgültig den Rücken.

Heute lebt er im US-amerikanischen Long Island bei New York und widmet sich ganz seiner Liebe zur Musik des Mittelalters und der Renaissance. Mit seiner vierten Ehefrau, der Sängerin Candice Night, gründete er 1997 die Formation „Blackmore’s Night“. Besonders in der deutschen Mittelalter-Szene kommt der sanfte Folkrock des Paars gut an. Blackmore bezeichnet Deutschland als seine zweite Heimat, hat in den späten 1960ern eine Zeitlang in Hamburg gelebt.

Noch einmal ließ er sich im Jahr 2016 dazu überreden, seine Band „Rainbow“ für drei Konzerte aufleben zu lassen. Das erste Konzert auf der Freilichtbühne Loreley über dem Rhein bei St. Goarshausen geriet zu einem unangenehmen Spektakel: Blackmore warf die Programmfolge spontan um, kanzelte seinen Sänger vor 15.000 Fans ab. Heute sinniert der Gitarrist, der glücklich ist, „genug Geld zu machen, um zu überleben“, in seinem Youtube-Kanal über vergangene Zeiten: „Der Mix, den sie heute im Radio spielen, ist wirklich furchtbar.“