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Vom Tod gezeichnet

Im Kasseler Museum für Sepulkralkultur zeigt die Sonderschau „Einer geht noch – Cartoons und Karikaturen auf Leben und Tod“ 160 Arbeiten von 33 deutschen Künstlern

„Ins Gras beißen“, „das Lebenslicht ausblasen“, „den Löffel abgeben“, „über die Klinge springen“. Der Volksmund kennt viele Sprachbilder mit Wortwitz für Sterben und Tod. Und um Sterben und Tod und das ganze Drumherum geht es zen­tral seit seiner Eröffnung im Sommer 1992 im Kasseler Museum für Sepulkralkultur. Gelegentlich auch die humorige Seite dieses ernsten Themas zu zeigen, das hier aus der Tabu­ecke ins Licht geholt wird, gehört dazu. Die Idee dahinter: „Sobald man über etwas lachen kann, verliert es seinen Schrecken.“
Gleich die Auftaktausstellung „Schluss jetzt!“ sollte das damals deutlich machen. An sie knüpft das Museum gegenwärtig mit der Sonderausstellung „Einer geht noch – Cartoons und Karikaturen auf Leben und Tod“ bewusst an, wie Martin Sonntag erläutert. „Auch um zu zeigen, was sich seitdem verändert hat im Umgang mit der Thematik“, sagt der „Einer geht noch“-Kurator, der zugleich die Kasseler „Caricatura“ leitet, damals wie jetzt wieder Kooperationspartner des Museums.

„Zur Apokalypse und zur Hölle bitte nach oben“

Die Handschrift dieser im Untertitel „Galerie für komische Kunst“, wie seine Visitenkarte ausweist, wird auf der Erdgeschoss­ebene gleich eingangs der Sonderschau deutlich, die dort noch bis zum 5. Juni zu sehen ist. „Bitte abtreten“, fordert da ein finsterer Sensenmann auf der Fußmatte bereits an der Türschwelle der Ausstellungsräume den Besucher einzweideutig auf.
Unversehens gruselgrinst der, während er sein Schuhwerk zur Säuberung, wie seit Kindertagen gewohnt, im Wechsel ein paarmal vor- und zurückschiebt. Und damit an diesem nasskalten Fe­bruartag sichtbare Spuren von Straßenschmutz auf Gevatter Tods dunkler Kutte hinterlässt. Spielt die Wort-Bild-Kombination zu seinen Füßen doch ersichtlich mit dem Zweitgedanken, das Ganze auch als „Einladung“ auffassen zu können, möglichst umgehend dahinzuscheiden. Doppeldeutigkeit, wie sie dem Betrachter der 160 Exponate 33 namhafter deutscher Überzeichner – darunter Til Mette, Ari Plikat und Martin Perscheid  – mehrfach begegnet.
„Von Nonsens bis hin zu schwarzem Humor“ (Sonntag) spannt sich der Bogen der mit feinem bis starkem Strich von Schwarzweiß bis Bunt zur Schau gestellten Illustra­tionen. Friedhofs- und Grabthemen werden dabei ebenso der Lächerlichkeit preisgegeben wie Mord und Selbstmord, Krankenkassen und Krankenhaus, Apokalypse und Amoklauf.
Mit dem Hinweis „zur Hölle und zur Apokalypse bitte nach oben“ führt Sonntag den Besucher hinauf in die erste Etage. Dort findet sich im wahren Wortsinn ein plastisches Beispiel für die humorvolle Umsetzung der Friedhofsthematik. Ein „Skulptoon“ – so nennt das nach einer Cartoon-Vorlage geschaffene Gebilde sein Schöpfer Siegfried Böttcher sinnig – zeigt da einen tristen Miniatur-Friedhof, dessen Grabsteinaufschriften unterschiedliche Lebenseinstellungen und Weltanschauungen der Verblichenen aufs Korn nehmen.

Geschmacksgrenzen verschieben sich

„Bin kurz weg“ steht etwa auf dem des Buddhisten in Anspielung auf dessen Überzeugung, es bedürfe mehrerer Wiedergeburten bis zur endgültigen Erlösung. „Gute Besserung“ heißt es auf dem des Optimisten, der von der Lebensbühne abgetreten ist, und mit „Game over“ wird da eines Computerfreaks gedacht, der seiner Leidenschaft nun nicht mehr frönen kann. Etwas Farbe kommt ins Spiel bei dem ums Leben gekommenen Formel-1-Piloten. Seinen Grabstein zieren mehrere Werbeaufkleber und auf seinem Grab liegt ein Schutzhelm. Die Grabstätte eines Christenmenschen sucht der Betrachter allerdings vergebens. Oder verbirgt der sich hinter dem Optimisten?
Wieder zurück im Erdgeschoss findet sich manches aus der digitalen Welt in den Abbildungen wieder. Da sinniert auf einem Cartoon etwa der Sensenmann vor einem Laptop sitzend: „Schon wieder zwölf Freunde bei Facebook verloren… Gefällt mir.“ Ein anderes zeigt eine betagte Dame mit Rollator, deren Navigationsgerät am Friedhofseingang vermeldet: „Sie haben Ihr Ziel erreicht.“ Darüber wird man noch schmunzeln, vielleicht lachen können.
Buchstäblich im Halse stecken bleibt ein Lachen dem Betrachter aber, wenn das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer, Selbstmordattentate islamistischer Extremisten oder Amokläufe karikiert werden. So manche Geschmacksgrenze dürfte das überschreiten, was dazu in der Sonderausstellung zu sehen ist.
Doch solche Grenzen verschieben sich, wie Sonntag weiß. „Die Omi, die umgefahren wird, hätte 1992 zu einem Aufschrei geführt“, nennt er ein Beispiel. Ist wohl was dran. Denn aufregen tut diese Karikatur hier keinen in der gemischt­altrigen kleinen Schar der Besucherinnen und Besucher der Sonderausstellung „Einer geht noch“. Jedenfalls nicht an diesem Februartag.